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Agentic AI: das nächste große Nichts

Die aktuellen LLMs stoßen für alle sichtbar an ihre Grenzen. Nun wird Agentic AI als neues Wunder aus dem Hut gezaubert. Eine Ansammlung von LLMs, die gemeinsam plötzlich doch echte Intelligenz zeigen sollen. Die erhoffte „Emergenz“ ist Wunschdenken, ohne jeden Beweis, und dient vor allem als Marketingstrategie, um die Aktienkurse weiter zu stützen. Alles nur ein weiteres Märchen für die Märkte.

(Artikel aus IT Spektrum 2/2025)

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Dr. Stefan Wess

Geschäftsleitung, Gründer & Chief Strategy Officer


  • 26.02.2025
  • Lesezeit: 3 Minuten
  • 337 Views

Die KI-Welt ist wie ein Jahrmarkt. Ständig wird eine neue Attraktion angekündigt, die das Publikum ins Staunen versetzen soll. Nach dem großen Hype um Generative AI kommt nun der nächste Trend auf uns zu: Agentic AI. Diese neue Wunderwaffe der Tech-Welt soll angeblich das Problem lösen, dass ein einzelnes Modell nun doch keine echte Intelligenz zeigt. Die Idee? Einfach mehrere Modelle in ein Netzwerk stecken, und plötzlich entsteht magisch eine Art Superintelligenz (Artificial General Intelligence, AGI). Klingt nach Science-Fiction? Vielleicht, weil es das auch ist.

Multi-Agenten-Systeme

Der Gedanke hinter Agentic AI ist simpel: Wenn ein einzelnes Sprachmodell nicht genügend „Denkleistung“ bringt, dann könnte doch die Zusammenarbeit mehrerer KI-Agenten eine neue Qualität schaffen. Die Verfechter dieses Konzepts argumentieren, dass solche Systeme Aufgaben koordiniert lösen könnten, indem spezialisierte Modelle miteinander kommunizieren. In der Theorie klingt das alles vielversprechend.

Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit: Die Idee von Multi-Agenten-Systemen ist keineswegs neu. Bereits in den 1990er-Jahren sollten solche Netzwerke das Scheitern der Expertensysteme kompensieren, die in den 1980ern hochgelobt und dann still begraben wurden. Multi-Agenten-Systeme klangen vielversprechend, konnten aber in der Praxis kaum überzeugen. Die Interaktion zwischen Agenten führte oft mehr zu Chaos als zu Kooperation. Die Ergebnisse wurden schlechter statt besser. Nur weil die heutige Technik größere Modelle und schnellere Prozessoren bietet, bedeutet das nicht, dass fundamentale konzeptionelle Probleme gelöst wurden. Amateurfußballer werden schließlich auch nicht zu einer Spitzenmannschaft, nur weil man ihnen bessere Bälle und ein größeres Spielfeld gibt.

Das eigentliche Problem bleibt bestehen: Large Language Model (LLMs) sind nicht intelligent. Sie sind großartige Statistik, brillant im Mustersuchen, aber letztlich blind für Kontext, Bedeutung und Konsequenz. Wenn einzelne Modelle nicht in der Lage sind, wahre Intelligenz zu simulieren, warum sollte das plötzlich funktionieren, wenn man mehrere dieser Modelle kombiniert? Wenn ein LLM allein schon fehlerhaft, voreingenommen und bestenfalls oberflächlich ist, warum sollte nun die Kombination aus mehreren solcher Modelle plötzlich zur Erleuchtung führen? Emergenz – also das spontane Auftreten komplexer Strukturen oder Verhaltensweisen – ist ein schöner Gedanke, aber bisher vor allem eines: ein reiner Wunschtraum.

Zeit für etwas mehr Ehrlichkeit

Ein weiterer Aspekt, den man hier nicht übersehen sollte, ist das Timing dieses neuen Hypes. Die Euphorie um Generative AI hat merklich nachgelassen. Immer mehr Berichte zeigen ihre Schwächen: von ungenauen Fakten über kreative, aber unsinnige Antworten bis hin zu problematischen ethischen Fragen. Es scheint fast so, als würden die KI-Unternehmen dringend eine neue Story brauchen, um die Investoren bei Laune zu halten. „Agentic AI“ kommt da wie gerufen – nicht als reale technologische Revolution, sondern als reine Abwehrstrategie. Natürlich wird es nützliche Anwendungen geben. Automatisierte Systeme, die sich auf spezialisierte Agenten stützen, können durchaus qualitativ besser sein. Doch das sind iterative Verbesserungen, keine Revolution. Der große Traum von emergenter Intelligenz (AGI) bleibt wohl eher Wunschdenken.

Vielleicht wäre es an der Zeit, etwas mehr Ehrlichkeit in die KI-Debatte zu bringen. Aber das wäre wohl zu viel verlangt – immerhin gilt es, Aktienkurse zu stützen. Ein Schwarm von Papageien bleibt schließlich auch nur ein Schwarm von Papageien, egal wie laut sie gemeinsam schreien.

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Dr. Stefan Wess

Geschäftsleitung, Gründer & Chief Strategy Officer
Zu Inhalten

Dr. Stefan Wess ist geschäftsführender Gesellschafter der Empolis Management GmbH, anerkannter Hightech-Experte und KI-Pionier. Er ist außerdem Mitglied im Aufsichtsrat des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), im Vorstand der Science & Innovation Alliance Kaiserslautern sowie Kurator der Fraunhofer Gesellschaft.


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