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Darf‘s ein bisschen weniger sein?

Im Schwerpunktthema dieser Ausgabe von IT Spektrum geht es um Anforderungen, seit jeher ein schwieriges Thema. Zum einen ist Sprache interpretationsfähig, was häufig zu ungewollten Missverständnissen führt. Zum anderen ist es nicht möglich, ein IT-System a priori vollständig zu spezifizieren. Peter Wegner hat bereits 1997 in dem nach ihm benannten Lemma bewiesen, dass es unmöglich ist, interaktive Systeme, also Systeme, die auf externen Input reagieren, vollständig zu spezifizieren. Das trifft auf praktisch jedes heutige IT-System zu. Damit sollte eigentlich klar sein, dass der Ansatz, Anforderungen a priori vollständig und widerspruchsfrei zu spezifizieren, nicht funktionieren kann.
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Uwe Friedrichsen

CTO, Softwerker & Herausgeber IT-Spektrum


  • 28.10.2022
  • Lesezeit: 3 Minuten
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Im Schwerpunktthema dieser Ausgabe von IT Spektrum geht es um Anforderungen, seit jeher ein schwieriges Thema. Zum einen ist Sprache interpretationsfähig, was häufig zu ungewollten Missverständnissen führt. Zum anderen ist es nicht möglich, ein IT-System a priori vollständig zu spezifizieren. Peter Wegner hat bereits 1997 in dem nach ihm benannten Lemma bewiesen, dass es unmöglich ist, interaktive Systeme, also Systeme, die auf externen Input reagieren, vollständig zu spezifizieren. Das trifft auf praktisch jedes heutige IT-System zu. Damit sollte eigentlich klar sein, dass der Ansatz, Anforderungen a priori vollständig und widerspruchsfrei zu spezifizieren, nicht funktionieren kann.

Und trotzdem begegnen mir in schöner Regelmäßigkeit immer wieder neue Ansätze, die versprechen, die bösen Anforderungen jetzt endlich vollständig und widerspruchsfrei zu erfassen und so das Problem der schlechten Anforderungen ein für alle Mal zu lösen. Nur haben wir seit mittlerweile 25 Jahren den mathematischen Beweis, dass das nicht geht.

Sicher, es ist hilfreich, Techniken zu kennen und zu beherrschen, mit denen man Fachexpertinnen und Fachexperten helfen kann, ihr Wissen strukturiert aus ihren Köpfen zu holen. Häufig sind diese nämlich richtig gut in dem, was sie tun, aber nicht so gut darin, ihr Wissen strukturiert zu vermitteln. Da sind Anforderungserhebungstechniken, wie sie im deutschsprachigen Raum zum Beispiel die SOPHISTen um Chris Rupp vermitteln, durchaus wertvoll.

Aber leider wird das dann häufig zu weit getrieben und der Anspruch ist, alle Anforderungen des zukünftigen Systems komplett zu erfassen – was nur in die Hose gehen kann. Zum einen aus den genannten Gründen. Zum anderen führen die immer noch verbreiteten Rituale in Unternehmen dazu, dass selbst die unnötigsten Anforderungen noch ihren Weg in das Pflichtenheft finden. Denn wenn das Budget erst mal festgelegt ist, dann gibt es am Umfang kein Rütteln mehr. Klar wird das hinterher noch zehn Mal geändert. Aber das erfordert, dass vorher immer erst die festgelegten Schuldzuweisungsrituale sorgfältig abgearbeitet und die vorgeschriebenen Menschenopfer dargebracht werden. Deshalb wird sicherheitshalber alles in das Pflichtenheft gepackt, was irgendwer eventuell irgendwann (nicht) gebrauchen könnte. Dann ist man auf der sicheren Seite. Denn Dazulernen und Anpassen ist in den Unternehmensritualen nicht vorgesehen.

Einschub: Falls jetzt jemand „Agilität“ ruft: Ja, ist in der Theorie die richtige Antwort. In der Praxis sind die meisten Unternehmen aber bestenfalls pseudo-agil, sprich: Die alten Rituale dominieren immer noch das Handeln. Da heißt das Pflichtenheft dann Backlog. Aber an dem grundsätzlichen Vorgehen hat sich nichts geändert.

Damit erhalten wir dann neue Systeme mit ganz vielen unnötigen Features, die eigentlich niemand benötigt, die aber die Komplexität des Systems massiv erhöhen: Änderungen werden aufwendiger und fehleranfälliger, der Betrieb wird aufwendiger und fehleranfälliger, und so weiter.

Entsprechend wünsche ich mir neue Ansätze, die nicht versuchen, Anforderungen vollständiger und widerspruchsfreier zu erfassen, sondern die es ermöglichen, nicht benötigte Anforderungen frühzeitig zu identifizieren und die dann gar nicht erst umzusetzen. Das wäre ein echter Fortschritt. Aber wer will schon weniger?

Uwe Friedrichsen
Herausgeber

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Uwe Friedrichsen

CTO, Softwerker & Herausgeber IT-Spektrum
Zu Inhalten

Uwe Friedrichsen ist CTO und Softwerker der codecentric AG. Seit der Ausgabe 5/2018 ist er Herausgeber der IT-Fachzeitschrift IT Spektrum, ehemals OBJEKTspektrum.


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