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Der "European Accessibility Act" – Digitale Barrierefreiheit ist notwendig für viele

Der „European Accessibility Act“ schreibt vor, dass Websites, Software, elektronische Geräte und mobile Apps ab dem 28. Juni 2025 für Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen oder Menschen mit geringer Technikaffinität zugänglich sein müssen, sei es im privaten oder öffentlichen Sektor. Dennoch wird Barrierefreiheit oft als „nette Zusatzanforderung“ angesehen und entsprechende Tests werden im Software-Lieferzyklus aufgrund anderer Prioritäten ausgeschlossen. Barrierefreiheit ist nicht verhandelbar! Es ist unsere Pflicht, ethisch zu handeln – schließlich validieren wir die Anforderungen und schützen den Endnutzer.

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Christoph Rump

Quality Transformation Manager

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Anna Ackmann

Quality Engineering Analyst


  • 12.12.2024
  • Lesezeit: 7 Minuten
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Aber wie barrierefrei ist eine Webseite oder eine Applikation? Und wo fange ich an, Barrierefreiheit sicherzustellen? Der European Accessibility Act (EAA) betrifft fast alle, die (gewerblich) Software beziehungsweise digitale Services betreiben. Ausgenommen vom EAA sind Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Beschäftigte haben und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme zwei Millionen Euro nicht überschreitet. Neben der Software muss die Hardware, zum Beispiel Selbstbedienungskassen in Supermärkten, barrierefrei für Verbraucher gestaltet sein. Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definieren einen weltweiten Standard. Es sind vier Prinzipien definiert, an denen sich die Beurteilung der Barrierefreiheit orientieren soll. In Deutschland gilt hier noch spezifischer die BITV 2.0 auf der gleichen Grundlage. Die vier Prinzipien der WCAG lauten Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verstehbarkeit und Robustheit. Diese findet man auch im Bereich Usability beziehungsweise Benutzerfreundlichekeit (s. u.) wieder.

Man unterscheidet bei den WCAG die drei Stufen A, AA und AAA, wobei AAA der höchsten Stufe entspricht. Im Rahmen des EAA wird Level AA, also fortgeschrittene/starke Barrierefreiheit, gefordert.

Barrierefreiheit oder Benutzerfreundlichkeit?

Benutzerfreundlichkeit, auch Usability, ist definiert als „das Ausmaß, in dem ein Produkt, System oder Dienst durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Anwendungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.“ (Definition von Usability und User Experience, UX, usability.de,
siehe: www.usability.de/usability-user-experience.html). Accessibility ist definiert als der „Umfang, in dem Produkte, Systeme, Dienstleistungen, Umgebungen und Einrichtungen von Menschen aus einer Population mit den unterschiedlichsten Nutzerbedürfnissen, Merkmalen und Fähigkeiten genutzt werden können, um bestimmte Ziele in bestimmten Nutzungskontexten zu erreichen (aus ISO 9241-11:2018 [i.15])“ (ETSI EN 301 549 – V3.2.1 – Accessibility requirements for ICT products and services, Seite 15, siehe: https://www.etsi.org/deliver/etsi_en/301500_301599/301549/03.02.01_60/en_301549v030201p.pdf). Beiden Definitionen ist gemein, dass sie sich immer auf die Erreichung bestimmter Ziele in einem bestimmten Nutzungskontext beziehen. Auch die Benutzergruppe wird explizit erwähnt, allerdings kann man diese gegebenenfalls im Bereich Usability eher eingrenzen als im Bereich Accessibility. Schaut man genau hin, inkludiert die Definition der Barrierefreiheit die der Benutzerfreundlichkeit. Somit kann man sagen, dass Barrierefreiheit notwendig ist für viele, aber von Vorteil für alle.

Wie messe ich „Barrierefreiheit“ und wie erreiche ich Compliance?

Unter den vier Prinzipien der WCAG gibt es eine Gliederung in 13 Guidelines, die sich insgesamt wieder in 87 Erfolgskriterien unterteilen. Barrierefreiheit lässt sich messen, indem man diese testbaren Kriterien überprüft. Hierbei gibt der Standard bereits Hinweise zu den notwendigen Prüfschritten. Für Deutschland gilt derzeit die BITV 2.0 als verbindlich, die die WCAG in Level AA voraussetzt und erweitert, das heißt, wenn deren Kriterien erfüllt werden, ist man compliant.

Eine umfangreiche Überprüfung der Kriterien ist sehr aufwendig und richtet sich nach der eingesetzten Technologie (z. B. Custom Software oder Plattform) und der Komplexität und Größe der Lösung. Ein Audit beziehungsweise Assessment zeigt in der Regel die Problemsymptome auf und kommt mit einem Handlungskatalog für Korrekturen daher. Die Schwierigkeit auf dem Weg zur Compliance liegt oftmals darin, die Ursachen der Probleme überhaupt zu verstehen, strukturell zu beseitigen und nachhaltig zu lösen.

Testautomatisierung und Testabdeckung

Eine Besonderheit beim Testen der Kriterien liegt darin, dass sich nur ca. 30 Prozent automatisiert testen lassen, 30 Prozent semi-automatisiert und 40 Prozent manuell. Ein Automationstool kann beispielsweise nachweisen, ob ein alternativer Text für ein Bild vorhanden ist oder nicht, aber es kann nicht sagen, ob der Text dem Bild entspricht. Hier mag in Zukunft Künstliche Intelligenz Lösungen schaffen, de facto sind wir noch abhängig von manuellen Tests. Eine weitere Besonderheit stellen assistive Technologien dar, etwa ein Screen Reader, der Personen mit einer Sehschwäche den Text auf einer Webseite, alternative Bildbeschreibungen sowie Buttonbeschreibungen und andere Navigationselemente vorliest. Es ist somit von Vorteil, betroffene Endnutzer in diese Tests einzubeziehen.

Schaut man auf die Anzahl der Fehler pro Kriterium, kann man verargumentieren, dass eine automatisierte Lösung bereits eine höhere Testabdeckung darbietet. Laut einer Studie der WebAIM Million lassen sich die meisten Fehler auf fünf Kriterien zurückführen. Auch da die rechtlich nicht relevanten AAA-Kriterien eher zu den Kriterien zählen, die manuell getestet werden müssen.

Regelmäßige Audits sind teuer, doch wie schaffe ich eine nachhaltige qualitätsgesicherte Lösung?

Aus unserer Erfahrung müssen wir uns, wie bei allen Qualitätstransformationen, die drei Säulen anschauen: Menschen, Tools sowie Prozesse. Das Mindset stellt zusätzlich das Fundament dieser Struktur dar. Es sollte dem Gedanken der Transformation, unabhängig von der rechtlichen Vorgabe, eine intrinsische Motivation zugrunde liegen.

Menschen: Der Mensch spielt eine Schlüsselrolle. Zunächst bedarf es des Bewusstseins, dass Barrierefreiheit schlichtweg nicht verhandelbar ist. Unabhängig davon, dass Barrierefreiheit für viele notwendig ist, bringt sie für jeden viele Vorteile mit sich. Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für künftige User-Designs. Das Bewusstsein lässt sich über Brownbag-Sessions und Trainings schaffen. Wichtig sind aber die Ausbildung und das Coaching der Schlüsselrollen, etwa des Product Owner oder des Scrum Master. Diese müssen dafür sorgen, dass Barrierefreiheit als Standardanforderung oder Akzeptanzkriterium immer berücksichtigt wird.

Tools: Um bereits bei der Entwicklung Qualitätsmaßnahmen einzuführen, bedarf es einer Integration eines entsprechenden Automationstools in der Lieferpipeline (CI/CD). Daneben braucht es zusätzliche Automationstools, zum Beispiel Tosca von Tricentis oder Lambdatest, die mittlerweile eigene Barrierefreiheitstest-Module anbieten. Um die semi-automatisierten beziehungsweise manuellen Tests zu unterstützen, braucht es Tools wie NVDA (Screen Reader). Für das Benutzer-Design gibt es vorgefertigte Design Libraries und Guidelines.

Prozesse: Das Testen der Kriterien muss in die Prozesse integriert werden. Das heißt, es muss definiert werden, dass auch während der Sprintzyklen bereits automatisierte und semi-automatisierte Tests der Barrierefreiheit durchgeführt werden. Sprintübergreifend sollten zusätzliche manuelle Tests durchgeführt werden, um das Risiko nach einem Produkt-Deployment und die Aufwände in einem Audit zu minimieren.

Fazit

Barrierefreiheit ist ein Muss – moderne und benutzerfreundliche Designs sind ohne Barrierefreiheit weder modern noch benutzerfreundlich. Wichtig ist, dieses Bewusstsein zu schaffen. Audits und Assessments müssen durchgeführt werden, um den Status quo zu erheben, insbesondere in Hinblick auf die kommende rechtliche Grundlage des EAA, der am 28.6.2025 verpflichtend wird und durch welchen hohe Strafen oder das Abschalten von Services drohen.

Um Kosten zu reduzieren und zukunftsträchtig zu designen, zu entwickeln und qualitätszusichern, muss Barrierefreiheit in allen Stufen des digitalen Lieferzyklus berücksichtigt werden. Es bedarf Weiterbildung, Coachings und des Einsatzes zusätzlicher Tools und Prozesse. Und bedenken Sie – 80 Prozent aller Einschränkungen treten erst im Alter auf. Auch Sie werden vermutlich auf barrierefreie Dienste angewiesen sein. Investieren Sie in Ihre Zukunft und die Ihrer Mitmenschen.

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Christoph Rump

Quality Transformation Manager
Zu Inhalten

Christoph Rump ist Quality Transformation Manager mit mehr als 12 Jahren IT-Erfahrung innerhalb von Accenture. Seine Schwerpunkte liegen neben Teststrategien und Management, Test Advisory und Coaching sowie SAP Testing auf dem agilen Qualitätsmanagement und der Begleitung großer IT-Transformationen. Er setzt sich zudem für das Thema „Web Accessibility“ ein und ist Sprecher zu Accessibility Testing auf internationalen Konferenzen.

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Anna Ackmann

Quality Engineering Analyst
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Anna Ackmann ist Quality Engineering Analyst bei Accenture


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