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Der Hase und der Igel

Haben Sie schon mal versucht, auf dem Laufenden zu bleiben, was Java-Technologien betrifft? Oder auch nur Schritt zu halten mit den Technologien, die Sie in Ihren Projekten einsetzen? Das ganze Unterfangen erinnert zuweilen an das berühmte Wettrennen zwischen dem Hasen – als Metapher für Technologien – und dem Igel – als Metapher für uns Entwickler – aus der Feder der Gebrüder Grimm. Bekanntermaßen trickst der Igel den Hasen dadurch aus, dass er am Ende der „Rennstrecke” seine ihm frappierend ähnlich sehende Igel-Frau platziert.
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Michael Stal

Chefredakteur von JavaSPEKTRUM


  • 24.03.2023
  • Lesezeit: 5 Minuten
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Das können wir freilich auch, indem wir beim Verfolgen der technischen Evolution eine verbotene Abkürzung nehmen (aka „bescheißen”). Immerhin gewinnt der schlaue (aka betrügerische) Igel im altdeutschen Schwank einen goldener Louis d’or und eine Flasche Branntwein. Genauso glänzend wie ein Louis d’or wirken Leute, die stets auf dem neuesten technologischen Stand zu sein scheinen. Wie oft haben wir uns insgeheim gefragt, wie diese Kollegen das genau schaffen, so ganz nebenbei zwischen Arbeitsleben und Schlafenszeit. Die anderen unter uns haben lieber zum Branntwein gegriffen, um sich die Technologiewelt schön zu trinken.

Die komplette Jakarta EE-Spezifikation besteht aus gut drei Dutzend unterschiedlichen Technologien, von denen wiederum jede einzelne in etlichen Ausprägungen beziehungsweise Implementierungen existiert. J2EE 1.4 hingegen hat einmal klein angefangen, als es „nur” vierzehn Technologien um sich versammelte. Zugegeben sind nicht alle 37 Technologien im Jakarta-Stack relevant oder komplex, aber selbst einen Bruchteil davon so zu durchdringen, um hinterher nachhaltige Projektentscheidungen treffen zu können, wirkt mehr als sportlich.

Darf’s ein bisschen mehr sein? Auch die JDK-Entwicklung schreitet kontinuierlich voran. Mit dem JDK 19 kommen willkommene Änderungen ins Spiel, die wir andererseits auch verstehen, erlernen und anwenden müssen. Und nach dem JDK 19 macht sich schon JDK 20 auf den Weg – neue JDKs erreichen uns so sicher wie das Amen in der Kirche.

Das Leben eines professionellen Informatikers ist daher von ständigem Lernen geprägt oder sollte es zumindest sein. Dummerweise erlaubt das Tagesgeschäft nur selten ein entspanntes Erlernen neuer technologischer Trends. Frisch gebackene Uni-Absolventen, die voller Enthusiasmus und Elan in Entwicklungsabteilungen kommen, wissen ein Lied davon zu singen. Sie wundern sich sicher oft darüber, dass die alteingesessenen Kollegen – also die, die bereits eine Inventarnummer besitzen – mit ihrer Begeisterung für brandneue Technologien nichts anzufangen wissen. Zumindest ging es mir damals so, als ich vor vielen Äonen ins Berufsleben eingestiegen bin und mir fest vorgenommen habe, nie wie die älteren Kollegen zu werden.

Wobei an dieser Stelle anzumerken ist, dass die Halbwertszeiten von Technologien noch vor wenigen Jahrzehnten eine gefühlte Ewigkeit andauerten, damals als Floppy Disks und Magnetbänder die Erde beherrschten. Heutzutage sind neue Computer, Smartphones, Tablets oder Softwaretechnologien schon nach kurzer Zeit veraltet. Wer erinnert sich denn an Trends wie DSLs oder NoSQL, die angetreten waren, um die Welt aus den Angeln zu heben, und von denen heute (fast) niemand mehr spricht? Die Gartnersche Hypekurve spukt mittlerweile in allen Köpfen. Man ist nirgends vor ihr sicher.


"Die Gartnersche Hypekurve spukt mittlerweile in allen Köpfen"


Auf der anderen Seite ist die heutige Welt wesentlich mehr von Software durchdrungen und damit auch komplexer. Dem müssen auch technologische Entwicklungen ihren Tribut zollen. Mit anderen Worten: Je benutzerfreundlicher sich Technologien entwickeln, desto schneller wachsen auch die Anforderungen an Softwarelösungen. Je mehr Anforderungen, desto mehr wächst der Druck nach noch produktiveren und umfangreicheren Entwicklungswerkzeugen. Mit anderen Worten befinden wir uns in einem Teufelskreis, den gerade Technologie-Stacks wie Jakarta EE offenbaren. Je mehr Technologien zur Verfügung stehen, desto stärker wächst der Druck auf Entwickler, mit der technologischen Evolution Schritt zu halten.

Und das bedeutet zum einen, dass der Grad von Spezialisierung in einem Maß anwachsen muss, das es erlaubt, mit der eigenen Technologie- und Fachdomäne Schritt zu halten. Zum anderen bedeutet es, dass Kompetenzmanagement eine besonders wichtige Rolle spielt. In der Verantwortung stehen dabei nicht nur Manager, sondern wir Entwickler selbst. Wir haben die Verantwortung, uns rechtzeitig über Technologien und ihre Evolution zu informieren, um zu wissen, was wir nicht wissen. Unseren Vorgesetzten obliegt die Pflicht, auch genügend Zeit für Kompetenz-Ramp-up-Maßnahmen und zum Prototyping bei neuen Technologien oder größeren Änderungen existierender Technologien zu spendieren.

Sicherlich öffnen uns Trendsetter wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen neue Türen, aber um mit ihrer Hilfe Mehrwert zu schaffen, bedarf es ausgebildeter und informierter Entwickler und Architekten. Weder erlernen sich neue Technologien von selbst, noch können wir Praktikanten oder Werkstudenten dafür einsetzen, um sie für uns zu lernen.

Was mich wiederum zum eigentlichen Thema zurückbringt. Java Enterprise in Gestalt von Jakarta EE ist schließlich nicht der einzige Technologie-Stack, den wir zumindest ansatzweise beherrschen müssen. Dazu kommen neue Programmiersprachen, neue (Web-)Frameworks, Microservices, neue Cloud-Technologien sowie natürlich künstliche, aber umso mehr echte Intelligenz. Die Menge an heutigen (Enterprise-)Technologien ist nur beherrschbar, wenn sie uns nicht über den Kopf wächst oder wenn das Wissen gut über unsere Teams verteilt ist. Mehrere Igel haben schließlich mehr Ausdauer als ein einzelner Hase.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre der vorliegenden Ausgabe

Ihr Prof. Dr. Michael Stal

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Michael Stal

Chefredakteur von JavaSPEKTRUM
Zu Inhalten

Prof. Dr. Michael Stal beschäftigt sich bei der Corporate Technology der Siemens AG mit Software- und Systemarchitekturen, Digitalisierung und KI. An der University of Groningen hält er Vorlesungen und betreut Doktoranden. Außerdem ist er Chefredakteur von JavaSPEKTRUM.


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