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Der Kleinkram macht die Sache interessant

IT Spektrum sprach mit Dr. Annette Hamann darüber, wie sie die IT-Ressourcen bei Beiersdorf optimal einsetzt und wie sie dabei der Herausforderung, die durch die Vielzahl der kleinen Systeme und Nischen entsteht, begegnet.

  • 16.12.2022
  • Lesezeit: 13 Minuten
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Johannes Mainusch: Annette, was ist dein Job bei Beiersdorf?
Annette Hamann: Ich bin jetzt seit über zwei Jahren bei Beiersdorf und leite die IT, bin also CIO von Beiersdorf und auch Geschäftsführerin der Beiersdorf Shared Services GmbH. Bei Beiersdorf ist die IT als Shared Service in die Unternehmensgruppe eingegliedert.

Wie viele seid ihr in dieser IT-Tochtergesellschaft?
Die Tochtergesellschaft hat zwei Geschäftsbereiche: IT und Global Finance Services. Weltweit sind wir über 580 Mitarbeitende – davon etwas über 450 in der IT.

Wofür braucht man so viele IT-Mitarbeiter*innen bei Beiersdorf?
Wir haben bei Beiersdorf eine ganz klassische Unternehmens-IT, das heißt, wir sind in fast allen Bereichen mit unseren IT-Services und Produkten vertreten. Das geht von der Infrastruktur über Workplace Services, also der Bereitstellung und Wartung von Computern, bis hin zu den Applikationen, die wir für die einzelnen Fachfunktionen und für die Märkte bereitstellen. Da wir eine globale Firma sind, sitzen die Mitarbeitenden nicht nur hier in Hamburg, sondern auch in jedem Markt.

Ich rate mal, die drei größten Applikationen sind wahrscheinlich SAP, dann vermute ich CRM und irgendwas altes Selbstgebautes …
Natürlich ist SAP unsere größte Applikation. Dann haben wir als Konsumgüterhersteller auch einen großen Bereich für unser Consumer Relationship Management. Also alles das, was in den Marketingbereich geht. Und natürlich ist aus unserer Sicht auch die Forschung und Entwicklung unserer Produkte sehr wichtig, das ist dann die dritte große Plattform, die wir betreiben.

Warum R&D, also Forschung und Entwicklung?
In der R&D geht es für die IT unter anderem darum, den Entwicklungsprozess für neue Formeln zu begleiten, das heißt von der Untersuchung neuer Materialien und Ingredienzien über die Zusammensetzung bis zur Entwicklung der Verpackung. Die R&D-Systeme betreffen den gesamten Lebenszyklus unserer Produkte – die Bedürfnisse der Konsument*innen, die Rohmaterialien, Herstellung und Verpackung, die Stabilität der Hautpflegeprodukte über einen längeren Zeitraum und den Transport bis ins Regal.

„Wir müssen entscheiden, was einen Wettbewerbs- vorteil bringt“

Das heißt, da sind dann die Ergebnisse drin, die du nicht direkt neben dem Johnson&Johnson-Server liegen haben willst? Sprich, das ist wahrscheinlich sicherheitsrelevant, oder?
Genau, die Ergebnisse sind zum einen sicherheitsrelevant, aber sie sind auch experimenteller. Die Anforderungen an das R&D-System sind andere als an das SAP-System. Gerade zu Beginn des Entwicklungsprozesses eines Produkts wird sehr viel getestet, aber nur wenige Ergebnisse gehen in die nächste Phase weiter. Erst wenn die Produktionsreife erlangt ist, gehen die Produktdaten unserer Product Lifecycle Management-Plattform in unser SAP-System über. In unserem SAP-Produktionssystem sind die Prozesse sehr stark zu parallelisieren, das heißt, auf der einen Seite wird aus dem Lager ein Rohmaterial entnommen, gleichzeitig ist der Produktionsauftrag da und es werden bereits die Kosten verbucht, und so weiter. Dagegen wird im R&D viel in Zyklen gearbeitet – bei der Produktentwicklung ist es ganz normal, dass es nach vorne geht, dann aber vielleicht doch noch einmal einen Schritt zurück, bevor es wieder weiter nach vorne geht. Allein dieses Experimentieren stellt besondere Anforderungen an das R&D-System.

Was ist als CIO die größte Herausforderung mit drei großen Systemen und über 450 Leuten?
Die größte Herausforderung kommt nicht von den drei großen, sondern von den Hunderten kleinen Systemen, die noch drum herum existieren. Bei den großen Systemen habe ich die Chance, entsprechendes Wissen und Teams aufzubauen, die sich um diese Plattformen kümmern. Expert*innen, die genau im Detail verstehen, wie es funktioniert, und die Weiterentwicklung und Fehlersuche können. Ich sehe die Herausforderung eher bei den kleinen Systemen und Nischen. Hier ist mehr Spezialwissen gefragt und es erfordert eine sehr diverse Organisation, die aus Allroundern und Spezialist*innen mit sehr tiefem Know-how besteht, um sich sehr schnell in neue Themen einarbeiten zu können.

Also nervt der Kleinkram?
Wir müssen uns bewusst entscheiden, ob eine Applikation oder Technologie für Beiersdorf einen Wettbewerbsvorteil bringt. Dann ist es natürlich wichtig, dass ich mir dieses Wissen intern vorhalte und mit dieser Geschwindigkeit diesen Wettbewerbsvorteil sichern kann. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Applikationen, die es wohl in jeder Firma gibt, und dann eben kein Wettbewerbsvorteil, sondern einfach der Status quo ist, den ich halten muss. Dann frage ich mich, ob ich meine internen Mitarbeitenden darauf trainieren muss oder das Wissen extern einkaufe. Die Herausforderung ist, wie wir unsere begrenzten Ressourcen so optimal einsetzen, dass wir am Ende den Unternehmenswert am meisten steigern.

„Es ist bislang nicht gelungen, eine positive Wahrnehmung für digitale Berufe zu erzeugen“

Was wünschst du dir in puncto fehlender Nachwuchs?
Ich wünsche mir, dass Berufe im Technologieumfeld als attraktiver wahrgenommen werden. Aus meiner Sicht ist es unserer Gesellschaft bislang nicht gelungen, eine positive Wahrnehmung für digitale Berufe zu erzeugen. Es gibt immer noch das Klischee, dass man den ganzen Tag vorm Computer sitzt. Aber Informatik ist vielfältiger und umfasst viel mehr Bereiche – das scheint vielen Leuten aber immer noch nicht bewusst zu sein. Da können und müssen wir noch mehr mit den unterschiedlichen Bildungsinstitutionen zusammenarbeiten und diese Berufsfelder greifbar machen, damit auch schon bei jungen Leuten das Interesse geweckt wird. Informatik hat keinen Numerus clausus und das bedeutet, die Universitäten haben die Kapazität, mehr Studierende aufzunehmen.

„Kind, wenn du in der IT deine Ausbildung machst, dann hast du ausgesorgt!“

Ich habe gestern gesehen: Entwickler mit 5 Jahren Berufserfahrung in München bei Amazon, 205.000 Euro Jahresgehalt. Und wenn man dem dann sagt, da musst du nicht mal hinfahren, da kannst du mit solchen Löchern in der Hose am Strand rumliegen und programmieren … ist das schon durchgedrungen?
Das ist genau der Punkt. Obwohl sie viele Chancen bieten, sind diese Studienfächer nicht überlaufen. Es scheint, als ob die Informatik in der Gesellschaft nicht getreu des Mottos „Kind, wenn du in der IT deine Ausbildung machst, dann hast du ausgesorgt“ angesehen wird.

Die Altersstruktur in den Unternehmen macht es häufig nicht besser. Wie ist das Durchschnittsalter bei Beiersdorf und was unternehmt ihr hier? Ist das national lösbar, oder brauchen wir „IT-Gastarbeiter*innen“?
Wir haben mit 42 Jahren insgesamt ein relativ hohes Durchschnittsalter. Auch bei uns werden in den nächsten Jahren viele Mitarbeitende in den Ruhestand gehen. Und wir fragen uns, wie wir mehr Nachwuchs ins Unternehmen bekommen. Ich denke, es ist nicht allein in Deutschland zu schaffen – man muss andererseits aber auch den Pool vergrößern. Also die entsprechenden Studiengänge attraktiver machen und die Kapazitäten der Unis nutzen. Auch bei der Ausbildung ist das Limit noch nicht erreicht. Außerdem ist es noch so, dass in dem Pool der Leute, die sich für Informatik interessieren, immer noch unterdurchschnittlich viele Frauen sind. Wir müssen dieses breite Berufsfeld attraktiver und greifbarer machen, sodass sich vor allem Schülerinnen für Informatik begeistern.

Könnt ihr bei Beiersdorf Englisch? Habt ihr in der Organisation die Möglichkeit, in den Teams international zu arbeiten?
Wir arbeiten in der Beiersdorf IT als globales Unternehmen und dabei ist Englisch die Sprache. Deutsch wird nicht vorausgesetzt, wir suchen international, und das andere, was wir jetzt betrachten, ist die schrittweise Dezentralisierung. Es gab bei Beiersdorf eine Phase, in der die IT sehr stark zentralisiert wurde, aber aufgrund der Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit können wir nun Modelle mit kleineren Standorten fahren und so den verfügbaren Talentpool vergrößern. Das erhöht automatisch auch die Diversität, denn wenn man in einem anderen Umfeld lebt, versteht man auch die Anforderungen in den Ländern beziehungsweise in den Märkten viel besser, als wenn man das alles aus einer Zentrale heraus macht. Das verbessert auch unser Verständnis, wie wir in der IT besser international einsetzbare Produkte bauen. Wir sind noch hauptsächlich in Deutschland, aber wir etablieren gerade internationale Standorte.

Wie viel verteiltes Arbeiten ist bei euch möglich?
Unsere offizielle Betriebsvereinbarung zum „Flexiblen Arbeitsort“ besagt, dass unsere Mitarbeiter*innen bis zu 20 Prozent ihrer Arbeitszeit remote erbringen können. Darüber hinaus sind in Absprache mit den Vorgesetzten auch 40 Prozent und mehr möglich – wenn die Art der Tätigkeit es zulässt. Aus meiner Sicht bietet diese Betriebsvereinbarung eine größtmögliche Flexibilität auf beiden Seiten, sowohl für die Mitarbeitenden als auch für den Arbeitgeber.

„Interaktion zwischen den Menschen ist wichtig, persönlich, nicht nur über die Kamera“

Wenn immer mehr verteilt gearbeitet wird, wie erzeugt ihr Teamspirit und eine Gemeinsamkeitskultur?
Wir hatten kürzlich unser erstes großes Teamevent seit Corona und auch, seitdem ich da bin. Wir haben die ganze Organisation eingeladen und einen Tag zusammen verbracht. Neben IT-spezifischen Themen haben wir auch die Teams nach langer Zeit vor Ort zusammengebracht. Denn in der Corona-Zeit haben wir viele neue Mitarbeitende bekommen. Davor haben wir bereits in vielen Bereichen Teamtage bei uns in der Organisation gehabt. Die Teams haben sich verabredet, ins Büro zu kommen, damit alle mal wieder zusammen sind. So versuchen wir, die Teamstrukturen wieder ein bisschen aufzubauen, was durch Corona verloren gegangen ist. Bei etablierten Teams war das nicht so schlimm, aber gerade bei Teams, die fast ausschließlich aus neuen Mitarbeitenden bestehen, hat sich der Nachteil von ausschließlicher Remote-Arbeit bemerkbar gemacht. Ich denke, Interaktion zwischen den Menschen ist wichtig, und zwar persönlich und nicht nur über die Kamera.

Fällt es dir schwer zu delegieren?
Nein, gar nicht. Aufgrund meiner Rolle muss ich an vielen sehr unterschiedlichen Themen gleichzeitig arbeiten. Dadurch habe ich relativ schnell festgestellt, dass ich überhaupt nicht die Kapazität hätte, die ganzen Themen, die sich bei mir ansammeln, weiter voranzutreiben. Für mich funktioniert das am besten, wenn ich stärker delegiere, weil ich ansonsten schlimmstenfalls der Engpass bin und die Sachen nicht vorankommen.

Idealerweise die Hängematte aufspannen und alles ist delegiert?
Das ist eine schöne Vorstellung, aber davon sind wir weit entfernt, weil man – egal was man macht – immer wieder an Punkte herankommt, an denen es unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Interessen gibt. Die Aufgabe ist es, herauszufinden, was für Beiersdorf die richtige Richtung ist, und dann zwischen diesen unterschiedlichen Parteien zu vermitteln. Das ist viel mehr eine Vermittlungsrolle als eine technische. So können wir idealerweise mit allen Expert*innen den richtigen Weg finden, wie wir Technologie im Unternehmen nutzen können, um passende Lösungen für Problemstellungen zu finden.

Habt ihr eine gute Fehler- und Lernkultur?
Ich würde sagen, generell hat jede IT-Abteilung eine gute Lernkultur, ich würde gar nicht so sehr von Fehlern sprechen. Technologie ist ja nicht statisch, sondern entwickelt sich immer schneller und immer vielfältiger weiter. Wenn man da keine Lernkultur hat, würde alles stagnieren und die Technologie wäre relativ schnell nicht mehr up to date. Dann hätte man auch als IT-Abteilung keinen Mehrwert mehr fürs Geschäft – und wir erreichen ja gerade durch die Technologie einen Wettbewerbsvorteil für Beiersdorf.

„Die IT ist kein Service- Provider, sondern ein Partner für das Business“

Nun ist IT häufig Innovationstreiber einer Firma, und das am Rande einer oft sehr effizienten Organisation. Effizienz aber mag keine Fehler, daher fehlt dann auch häufig eine Fehlertoleranz. Gibt es eine Kulturgrenze für Fehler bei euch?
Es gibt eine Kulturgrenze, ich würde sie aber nicht als eine Fehlerkultur-Grenze sehen, sondern ich würde sie eher als eine Grenze sehen, an der neue Technologie und neue Prozesse auf jahrelang antrainierte effiziente Strukturen treffen. Das bedeutet, dass wir mit technischen Innovationen in den Geschäftsbereichen oft in sehr viele Felder eingreifen. Wenn sich Anwendungen oder Abläufe ändern, bedeutet das eventuell auch Veränderungen in der Zusammenarbeit mit anderen Funktionen; mit dem Ziel, Prozesse von Anfang bis Ende zu betrachten und nicht immer nur kleine Stücke. Womöglich mehr zu automatisieren, damit am Ende mehr Individualisierung geht. Das heißt aber, ich muss die Art und Weise, wie ich den Prozess lebe, ändern, und das kann ein großer Bruch sein. Das ist auch der Grund, warum viele IT-Vorhaben, wenn sie als IT-Projekt gefahren werden, nicht so positiv laufen. Weil der Eindruck entsteht, dass kein Mehrwert entsteht, obwohl eine neue Technologie eingesetzt wird. Das passiert genau dann, wenn man den Transformationsgedanken übersehen hat. Die IT ist kein Service-Provider, sondern ein Partner für das Business, und mit diesem Anspruch integrieren wir die Anwender*innen auch von Anfang an in die Projekte.

Ist Beiersdorf auf diesen Kulturwandel, auf Zusammenarbeit und End-to-End-Prozesse vorbereitet?
Ja, auf der Seite der Anwender*innen bei Beiersdorf gibt es bereits die entsprechenden Strukturen, die sehr eng mit der IT zusammenarbeiten. Wir stellen unsere klassische IT-Budgetplanung immer mehr so auf, dass jede Initiative auch das notwendige Business-Budget hat. So können wir die nötigen Trainings- und Prozessänderungen gemeinsam umsetzen. Wir haben gelernt, dass es für eine IT nicht mehr ausreicht, ein Projekt in Zeit, in Budget und in Qualität abzuliefern. Wir müssen wirklich nachvollziehen, ob der erhoffte Mehrwert geliefert wurde. Dazu haben wir unser Portfoliomanagement um unser Value Acceleration Office erweitert. Wir führen jetzt ein, dass wir uns für jedes Projekt vorab überlegen, was der konkrete Mehrwert ist. Und wir legen fest, wie wir diesen Mehrwert auch nach dem Projektende messen können.

„Diversität ist bei Beiersdorf sehr wichtig“

Wie hoch ist denn der Frauenanteil bei der Beiersdorf-IT? Und wie ist es bei den Führungskräften?
Diversität ist bei Beiersdorf generell sehr wichtig und wir haben natürlich auch ein Diversity-Programm. Bei Beiersdorf liegt der Frauenanteil in den Führungsebenen bei 47,8 Prozent. Das Ziel ist, die Geschlechterparität im Jahr 2025 zu erfüllen. In der IT sind wir bei einem Frauenanteil von 27 Prozent. Wir schaffen es, die weiblichen Talente, die wir haben, genauso zu fördern wie die männlichen. Wir ermöglichen Frauen und Männern die gleichen Chancen. Das Problem sehe ich bei der IT viel stärker darin, dass der Pool zu klein ist. Das ist genau der Punkt, worüber wir am Anfang schon sprachen.

Die gute Fee gewährt dir einen Wunsch für 2023, was wünscht du dir?
Dann wünsche ich mir, dass wir zu einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis in der IT kommen, weil ich einen großen Mehrwert sehe, wenn man mit möglichst diversen Teams die Technologie gestalten kann.

Annette, vielen Dank für das Interview.

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Dr .Annette Hamann ist Geschäftsführerin der Beiersdorf Shared Services GmbH. Sie dirigiert mit der Cloud und Microsoft-Lösungen die IT von Beiersdorf auf die große Bühne der Kosmetikbranche.
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Johannes Mainusch ist Berater für Unternehmen, die Bedarf im Bereich IT, Architektur und agiles Management haben. Dr. Mainusch ist seit 2012 Mitglied der IT Spektrum-Redaktion.


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