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Die Testkompetenz im Team

Digitalisierung und Agilisierung in der modernen Welt benötigen flexible und kompetente Personen im Team der Software- und Systementwicklung. Eine enge und verzahnte Zusammenarbeit von Fachseite, Entwicklung und Betrieb (BIZ-DEV-OPS) soll helfen, die richtigen Funktionen zum notwendigen Zeitpunkt bereitzustellen. Braucht man auch Tester?
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Jörn Münzel

Leiter Arbeitsgruppe Berufsbild Testen


  • 27.05.2022
  • Lesezeit: 10 Minuten
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Das in diesem Artikel skizzierte Berufsbild [GTB] will Ideengeber sein, das Testen und die dafür notwendigen Fähigkeiten in einen flexiblen, aber auch effektiven Prozess zu integrieren. Nur wer eine Vision oder ein Konzept hat, wird den Weg und das Team entwickeln, um wirtschaftlich ans Ziel zu kommen. Kompetente Menschen sind die Basis, das Berufsbild liefert potenzielle Puzzle-Stücke.

Herausforderung

Dem Test beziehungsweise dem Tester wird oft nachgesagt, er arbeite zu statisch und zu theoretisch. Daher wäre sein Beitrag zu gering und zu langsam. Die aktuelle Welt arbeitet aber dynamisch, teamorientiert und wertbeitragend. Ist Qualität und Testen noch ein Wert?

Wenn man aktuelle Analysen und auch Berichte liest, hat Qualität einen hohen Stellenwert und Testen ist wichtig, siehe zum Beispiel Quality World Report 2021 [QWR]. Fehlende Qualitäten können einen wirtschaftlichen Schaden verursachen und haben oft direkt einen negativen Einfluss auf das Image, zum Beispiel in den sozialen Medien.

Daher stellt sich die Frage, wie integriert man die Themen Qualität und Qualitätssicherung passend in das Vorgehen und das Team? Grundlegend fängt es beim Vorgehen an, indem man fachliche und betriebliche Anforderungen so formuliert und kommuniziert, dass die geforderten Eigenschaften verstanden werden. Und dass sie nach der Realisierung auch aufgezeigt und geprüft werden können.

Für das Team bedeutet es aber, neben Kommunikation und Zusammenarbeit bekommt der Aspekt der Qualität beziehungsweise der Qualitätsanforderungen einen wichtigen Stellenwert. Ebenso die Sicherstellung der Anforderungen im Zielsystem. Welche Kompetenzen sind dafür gefordert?

Der Aufbau und die Entwicklung von Teams ist eine herausfordernde Aufgabe, ebenso für eine Struktur von Teams (Organisation). Wie wird ein Team leistungsfähig und wie wird eine Organisation effizient? Wie werden die Qualitätssicherung und der Test sinnvoll und wertsteigernd integriert und wie das Personal qualifiziert beziehungsweise rekrutiert?

Neben soziologischen und teamorientierten Aspekten (s. Belbin-Rollen [Wiki-a], Tuckman-Teambildung [Wiki-b]) ist das Kompetenzmanagement ein entscheidender Faktor. Das Team braucht zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Kompetenzen, um seine Aufgaben effektiv und effizient umzusetzen.

Wie schafft es eine Person, ein Team oder das Management den Spagat zwischen notwendiger Spezialisierung und wechselnden Einsatzanforderungen zu meistern? Brauchen wir Generalisten, Fachleute oder Spezialisten für den Test?

GTB-Berufsbild Testen

Das GTB-Berufsbild Testen (überarbeitete Version 2.0, Veröffentlichung 2. Halbjahr 2022) versucht, Ideen zu geben, wie über Positionen, Verantwortung und Teamgedanke ein für die Zukunft offenes Aufgabenmodell die notwendigen Skill-Sets, Certified-Tester-Weiterbildungsmodule und Organisationen in einem Referenzmodell abbildet.

Da Software- und Systementwicklung kein reiner Produktionsprozess ist, sondern eher einem reaktiven, evolutionären Entwicklungsansatz entspricht (Plan-Do-Check-Act), gibt es keine Blaupause für die „beste” Organisation und das „beste” Vorgehen. Von sequenziellen (z. B. Wasserfall-Modell, V-Modell) über iterative (z. B. RUP) bis hin zu agilen Vorgehensmodellen (z. B. Scrum, Kanban) gibt es verschiedene Ansätze, um die Komplexität der Entwicklung mit der Notwendigkeit der Bereitstellungseffizienz (z. B. Termin und Kosten) zu beherrschen.

Das Berufsbild Testen basiert auf den Teilaufgaben des Testens beziehungsweise des Testprozesses und beschreibt essenzielle Positionen dafür. Zugeordnet wird ein Kompetenzschema, das einerseits die notwendigen fachlichen Fähigkeiten aus Wissen, Fertigkeiten und Erfahrung als „Aufgabenkompetenz” erfasst und andererseits die persönlichen Kompetenzen aus Sozialkompetenz und Selbstständigkeit als „Verantwortungskompetenz” ergänzt (siehe Abbildung 1). Zusammen bildet das ein Referenzschema, das es dem Leser ermöglichen soll, Ableitungen für seine persönliche Entwicklung oder seine spezifische (Team-/Projekt-)Organisation zu entwickeln.

Der Begriff der Position stellt dabei eine Strukturierungshilfe dar und soll nicht die Form der gewählten Organisation und des Software-Entwicklungsprozesses einschränken, ob agil, iterativ oder sequenziell. Er soll vielmehr helfen, klare, aber auch breit gefächerte Kompetenzanforderungen an die Bewältigung von einzelnen Aufgaben im Test zu formulieren und nicht nur das Fachwissen zu betrachten. Gerade in agilen Projekten nehmen Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Positionen ein, für die sie aber jeweils passende Kompetenzprofile benötigen, um eine professionelle Leistung zu erbringen oder um andere Personen im Team anzuleiten oder sie zu unterstützen.

Zu den betrachteten Aufgaben im Berufsbild gehören:

  • die Kernaufgaben des Testens (Testanalyse, -entwurf, -realisierung und -durchführung)
  • die planerischen Aufgaben (u. a. Teststrategie, -architektur, -konzeption, -planung und -steuerung)
  • die technischen Aufgaben (u. a. Testumgebung, -daten, -werkzeuge und -automatisierung)

Abb.1: Grundschema einer Position und zugeordneter Kompetenzbereich

Positionen – Basis und Spezialisierung

Die Aufgaben des Testens sind abhängig vom Testobjekt und seinen Anforderungen. Je nach Umfang der Anforderungen, der Komplexität der Lösung und der Testbarkeit sind in der Folge auch die Testaufgaben komplexer und müssen sinnvoll strukturiert werden. Das Modell zeigt ausgehend von den Kernaufgaben des Testens, wie sich aus einer steigenden Komplexität eine sinnvolle testfachliche Vertiefung beziehungsweise Spezialisierung entwickelt. Ergänzt wird dies um Positionen, die für eine effiziente Umsetzung von Strategie, Planung und Technik sorgen.

Grundlage für das Referenzschema ist ein Modell zur Darstellung, das sich an das etablierte Modell der SFIA Foundation (Skills Framework for the Information Age, [SFIA]) anlehnt und folgende Komponenten enthält:

  • Position: Name und Aufgabenbeschreibung im Test
  • Verantwortung/Selbstständigkeit: Ebene und Beschreibung
  • Notwendige bzw. sinnvolle Fach- und Sozialkompetenzen zur Ausübung der Position

Die Fachkompetenzen sind nicht auf das Testen beschränkt, sondern sehen die Position im Kontext der Dimensionen der gesamten Entwicklungsaufgabe:

  • Prozess: Produkt und Softwareentwicklung
  • Domäne: Anwendungs- & Fachdomäne
  • IT-Struktur: Testobjekt
  • Technologie: Test- & Umgebungstechnologie

Daraus ergeben sich im Berufsbild die in Abbildung 2 dargestellten Positionsbeschreibungen mit den Verantwortungsebenen Basic, Advanced und Senior/Expert.

Abb. 2: Übersicht der Positionen im Testen - GTB Berufsbild 2.0

Als Beispiel einer Basisposition (grün) aus dem Bereich „Testen” sei hier die Position „Test-Analysis” aufgeführt. Sie umfasst die Kernaufgaben Testanalyse und Testentwurf, die einen Wissens- und Fertigkeitsschwerpunkt in den Bereichen Testverfahren und Anwendungsdomäne erfordert. Ergänzt um die Sozialkompetenzen, unter anderem analytisches Denken, Kommunikation und Teamfähigkeit, sowie je nach Verantwortungsstufe auch solche Punkte wie Durchsetzungsvermögen, Moderation und Resilienz.

Das Berufsbild umfasst neben einer ausführlichen Herleitung des Modells, der detaillierten Beschreibung der Positionen auch eine Übersicht zu allen Positionen in den drei Verantwortungsstufen mit einer Aufgabenbeschreibung und einer Übersicht der sinnvollen Kompetenzen. Je nach realem Umfeld kann diese Übersicht als Ideengeber, Checkliste oder Referenz genutzt und an die konkreten Anforderungen angepasst werden.

Person vs. Position

Jede im IT-Umfeld ausgebildete oder zumindest erfahrene Person bringt grundsätzlich eine gewisse Bandbreite an Kompetenzen mit, die sie für verschiedene Aufgaben im Prozess der Softwareentwicklung einsetzbar machen. Meist hat die Person auch Schwerpunkte, Vorlieben und Eigenschaften, die sie für gewisse Aufgaben prädestinieren. Oft ist die Person dann bereits durch geringfügige Unterstützung (z. B. Training oder Coaching) und Motivation in der Lage, weitere Aufgaben zu bewältigen.

Beispielsweise sind Business-Analysten oft auch im Bereich Testspezifikation/Anwendungstest oder Entwickler im Unit- und Integrationstest beziehungsweise in der Testautomatisierung einsetzbar. Gleiches gilt für Test-Analysten, die in der Business-Analyse arbeiten, oder Testdatenspezialisten, die im Datenbankdesign beziehungsweise der Datenbankprogrammierung tätig werden.

Warum ein Berufsbild Testen?

Heute und in der Zukunft wird in der Software- und Systementwicklung die Forderung nach flexibler Leistung der Teams gestellt. Diese Forderungen beinhalten auch das Thema Qualität und Qualitätssicherung (QS).

Eine Organisation und ihre Teams werden sich aber nur steigern, wenn sie neben ihrer System- oder Produktvision auch ein aktives Team- und Kompetenzmanagement haben. Dazu gehört eine Planung, welche Aufgaben habe ich, welche Positionen benötige ich und welche Kompetenzen brauche ich. Hier unterstützt das Berufsbild Testen durch Ideen und bietet quasi Checklisten.

Doch neben den Aufgaben gehören die Teambildung und -entwicklung dazu. Ergänzend zur notwendigen fachlichen Qualifikation gehören soziale Kompetenzen der Personen und ihre Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme dazu. Gerade in einem Software-Entwicklungsteam müssen täglich Entscheidungen getroffen werden, sei es für das Produkt, das weitere Vorgehen oder im Rahmen einer Aufgabe. Hier bietet das Berufsbild durch die Ausprägung verschiedener Verantwortungsebenen auch eine Idee.

Grundsätzlich ist das Berufsbild auch für jeden Einzelnen gedacht, um zu überlegen, welche grundsätzlichen oder vertieften Kompetenzen er für sich sieht, welche Positionen seinen Neigungen entsprechen, sei es heute oder in Zukunft. Wir werden flexibler werden müssen und offener gegenüber einem schematischen Rollen- und Wissensmodell. Wie geht Anforderungsanalyse, was ist Programmierung, was ist Betriebsüberwachung, wie definiere ich ein Testziel?

Übergreifendes Basiswissen fördert das Verständnis und unterstützt die Flexibilität im Team. Heute unterstütze ich die Festlegung von Anforderungen, morgen leite ich die Testspezifikation und übermorgen entwickle und teste ich als Paar mit dem Entwickler.

Fazit

Agil zu sein heißt nicht, planlos zu arbeiten. Das Berufsbild Testen möchte einen Teil dieser Planung unterstützen. Ebenso wie das Ausbildungsschema zum Certified Tester des ISTQB seine Module für Testkompetenzen anbietet, nicht nur zur Unterstützung von Testern, sondern auch als Basiskompetenz für Entwickler, Business-Analysten, Operatoren, Product Owner, Scrum Master, …

Die Komplexität unserer Produkte wird sich weiter steigern, die Technologien werden sich verändern und die notwendige Testeffizienz muss sich mitentwickeln. Qualität und Qualitätssicherung werden sich breiter in die Entwicklungskette integrieren: von der Idee und den Anforderungen über die Entwicklung bis in den Betrieb mit Monitoring und integrierten Sicherungen.

Für das Testen und ein Berufsbild erfordert dies Flexibilität und eine Öffnung für „jeden”, sei es in Richtung „shift-left” (QS von Beginn an), Testautomatisierung (Backbone von CI/CD), KI als Testwerkzeug oder „shiftright” (QS im Betrieb). Kern bleibt jedoch der Mensch mit seiner Kompetenz und seiner Motivation.

Referenzen

[GTB]
https://www.german-testing-board.info/berufsbild-tester (Version 2.0 kommt im 2. Halbjahr 2022)

[SFIA]
SFIA Foundation (Skills Framework for the Information Age), siehe:
https://sfia-online.org/de

[QWR]
Quality World Report 2021, siehe:
https://www.sogeti.com/explore/reports/world-quality-report-2021-22/

[Wiki-a]
Belbin-Rollenmodell, unter anderem:
https://de.wikipedia.org/wiki/Teamrolle

[Wiki-b]
Tuckman-Teambildung, unter anderem:
https://de.wikipedia.org/wiki/Teambildung#Phasenmodell_nach_Tuckman_und_Klotz

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Jörn Münzel

Leiter Arbeitsgruppe Berufsbild Testen
Zu Inhalten

Jörn Münzel ist langjähriges Mitglied des German Testing Board e.V. (GTB) und Leiter der Arbeitsgruppe Berufsbild Testen im GTB. Er ist Diplom- Informatiker und war bis zum Eintritt in den Ruhestand Mitte 2021 Leiter des Kompetenzzentrums Test & Qualitätssicherung der ITinera projects & experts GmbH. Jörn Münzel verfügt über mehr als 35 Jahre Berufserfahrung in verschiedenen IT-Bereichen mit einem Schwerpunkt im Test. Er ist bereits auf vielen Konferenzen und Tagungen als Sprecher unterwegs.


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