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Drei Qualitätsdimensionen einer agilen Organisation

Agilität ist in der Softwareentwicklung der IT weitestgehend etabliert. Die Geschäftsbereiche entdecken zunehmend die Vorteile der agilen Idee und sind dabei, die agilen Ansätze für sich zu adaptieren. Welche Möglichkeiten bieten sich für die IT, die Transformation der Geschäftsbereiche aktiv zu unterstützen? Können gesammelte Erfahrungen und Gelerntes mit hoher Qualität in die Geschäftsbereiche übertragen werden? Welche Änderungen oder Rückkopplungen bringt der Wandel der Geschäftsbereiche wieder in die IT? Wir zeigen die drei Qualitätsdimensionen einer agilen Organisation. Die intensivere Kopplung der Geschäftsbereiche und der IT im Rahmen der Produktdigitalisierung zeigen wir am Beispiel von mobile Online-Diensten von Fahrzeugen.
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Christian Heimann

Leiter IT-Bereich

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Stefan Waschk

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  • 27.11.2020
  • Lesezeit: 10 Minuten
  • 24 Views

In großen Organisationen ist es nicht trivial, spezifisches Wissen über Methoden und Tools systematisch und nachhaltig zu skalieren. Auch agile Modelle sehen zur Wissensbündelung und Verteilung zum Beispiel Gilden wie im Spotify-Modell vor. In der Group IT der Volkswagen AG ist das Competence Center Test & Quality Assurance (TQA) seit Langem etabliert. Das Agile Center of Excellence (ACE) wurde gegründet, um die Group IT systematisch bei der agilen Transition zu unterstützen. Sowohl das ACE als auch das TQA unterstützen systematisch die IT-Entwicklungsbereiche sowie die Fachbereiche, um Kunden hochwertige Produkte und Services bereitzustellen. Dabei ergänzen sich beide Bereiche sowohl im Leistungsportfolio als auch in ihrem Vorgehensmodell.

Synergien aus Qualität und Agilität

Voraussetzung für die Unterstützung ist ein gemeinsames Verständnis zwischen den Bereichen TQA und ACE. Das, was so einleuchtend klingt, war nicht immer selbstverständlich. Während auf der einen Seite agile Evangelisten immer das Mantra „Qualität ist inhärent“ vor sich hertrugen und dabei unterschätzten, dass es fachspezifische Anforderungen gibt, erkannten die eingefleischten Qualitätsmanager nicht das enorme Potenzial, welches im agilen Ansatz steckt.

Erst als allen klar war, dass domänenspezifische Anforderungen wie beispielsweise Sicherheitsnormen spezieller Absicherungsstrategien bedürfen und Qualitätsanforderungen bereits in agilen Ansätzen wie der Definition of Done, den Akzeptanzkriterien und den Daily-Stand-up Meetings stecken, konnten Synergien zwischen beiden Gruppen gehoben werden.

Eine zweite Fragestellung, die beide Bereiche betraf, ist die Frage nach der Skalierung des Leistungsportfolios. Sowohl durch die Digitalisierung der Prozesse im Konzern als auch durch das Angebotswachstum digitaler Produkte für Kunden können zentrale Einheiten nicht schnell genug Ressourcen aufbauen und wachsen. Hier mussten auch neue Wege gefunden werden: von zentralen Organisationsformen, die zwangsläufig zum Nadelöhr werden, hin zu hybriden Modellen, die eine fachliche zentrale Steuerung mit lokaler operativer Leistungserbringung verbinden. So unterschiedlich beide Bereiche sind, so ähnlich wurden die gefundenen Antworten.

Eine wichtige Gemeinsamkeit, die eine enge Zusammenarbeit erst ermöglicht hat, war die konsequente Ausrichtung von TQA und ACE hin zu unterstützenden Einheiten mit nur geringem Governance-Umfang.

Diese Zusammenarbeit hat einige interessante Erkenntnisse und Ergebnisse geschaffen. Im Folgenden wollen wir zwei generische Beispiele vorstellen, die in verschiedenen Geschäftsbereichen agiler Organisationen anwendbar sind:

  • die Wissensskalierung mittels Self-Service Kits und
  • Qualitätsmanagement mit Fokus auf agile Teams.

Self-Service Kit

Mit dem Ansatz Self-Service Kit (SSK) wird den Teams Experten-Wissen zu Methoden und deren Anwendung auf qualitativ hohem Niveau bereitgestellt. Die so realisierte Skalierung von Wissen entlastet die agilen Coaches des ACE sowie die Qualitätsspezialisten von TQA.

Ein SSK ist eine Bündelung von verschiedenen Trainings und Lernmethoden mit dem Ziel, Wissen zu vermitteln und zur Anwendung in die Teams zu überführen sowie das nötige Hintergrundwissen bereitzustellen, um den Teams spezifische Adaptionen zu ermöglichen.

Der SSK-Ansatz ist so gestaltet, dass er agile Werte und Prinzipien unterstützt und die Autonomie der Teams fördert. Jeder SSK behandelt ein Thema wie die Erstellung der Levels of Done [Pot-x20, Pot-e120] (Prozess-Fokus), die spezifische Erhebung von Produkt-Qualitätsrisiken [Pot-r20] (Produkt-Fokus) oder die Bestimmung der Team-Arbeitsqualität [Pot-x120] (Team-Fokus). In den Wissensgebieten zu Produkt-, Prozess- und Teamqualität werden verschiedene Schwerpunkte in der Wissensvermittlung bei der SSK-Erstellung gesetzt [Pot-f20] und im Rahmen des Lebenszyklus-Modells des SSK aktualisiert und verbessert. Des Weiteren ermöglicht es der SSK-Ansatz, die autonomen Teams einer Organisation zu Prosumenten zu machen, da alle Experten mit dem SSK zur Erstellung von SSKs befähigt werden, eigenständig einen SSK bereitzustellen.

Team Work Quality

In der klassischen Organisation (Taylorismus) werden Produkte über Prozessen geschaffen und die Mitarbeiter sind prozessschrittausführende Einheiten. Somit sind die im Fokus befindlichen beiden Dimensionen des Qualitätsmanagements die Produkt- und Prozessqualität.

In agilen Organisationen ist nicht mehr der Prozess der Mittelpunkt, sondern das Team. Um agilen Teams Autonomie zu gewähren, benötigt es auch Vertrauen seitens der Organisation, dass ein hinreichendes Können für die übertragene Produkt- oder Service-Bereitstellung vorhanden ist und kontinuierlich weiter entwickelt wird, um die Verantwortung für das eigenständige Handeln auch vollumfänglich übernehmen zu können. Die Produkt- und Prozessqualität werden über die klassischen Methoden des Qualitätsmanagements abgedeckt. Im agilen Kontext wird die Produktqualität über die Definition of Done (DoD) und Akzeptanzkriterien sichergestellt, wobei auch Aspekte der Prozessqualität darin abgebildet werden können.

Die zusätzliche neue dritte Dimension einer agilen Organisation, die Qualität der Teamarbeit, ist dabei bisher weder systematisch in den klassischen noch den agilen Vorgehensmodellen abgebildet. Abbildung 1 zeigt die Möglichkeiten der eigenständigen Gestaltung von Prozessen und Produkten bei hinreichender Teamqualität. Scrum und SAFe bieten wenige Indikatoren für die Qualität der Teamarbeit [Pot-e20]. Aus diesem Grund wurde der Ansatz agile Team Work Quality (aTWQ) von uns entwickelt. Er kann als „Self-Assessment“ von den Teams über ein SSK genutzt werden und regt die Teams über Fragen zur Reflexion und Verbesserung an.

Abb. 1: Qualität für Gestaltungsfreiräume mittels den neuen 3. Dimension: Teamqualität

Es werden verschiedene Modelle aus der Team- und Organisationsentwicklung in aTWQ zusammengeführt und mit vorhanden Indikatoren der agilen Ansätze wie Scrum und SAFe korreliert. Neben der intrinsischen Teamentwicklung kann aTWQ auch zur strategischen Organisationsentwicklung genutzt werden. In der Group IT ist aTWQ hierfür zum Beispiel in den agilen Team-Review [Pot-f19] integriert.

Governance, Team und Produkt

Die enge Verzahnung von ACE und TQA ermöglicht es, ganzheitliche Ansätze bereitzustellen, die die Qualität und agile Transition gleichermaßen fördern und als Basis für die agile Skalierung dienen – auch in die Geschäftsbereiche hinein. Abbildung 2 [Pot-f20] zeigt das generische Zusammenspiel von Organisation (Governance), Teams und deren Liefergegenstände (Produkte/Services) am Beispiel der Skalierung von Wissen mit dem SSK-Ansatz. Das ACE und TQA haben neben Liefergegenständen für die Teams und deren Produkte/Service auch Governance-Aufgaben wahrzunehmen. Dies ermöglicht es, immer mit einem Bein im Wertstrom zum Kunden zu stehen und so den Fokus auf Lean Governance zu wahren.

Abb. 2: Interaktion von Governance, Team und Produkt sowie ein Beispiel für Skalierung von SSKs

Die Digitalisierung von Produkten und Organisationen führt zur tieferen Integration von IT und Geschäftsbereichen für die operative Leistungserbringung vor Kunde. Ein typisches Beispiel aus der Automobilindustrie ist das Fahrzeug (etabliertes Produkt), welches immer mehr Online-Dienste (IT-Service) als Teil des Kundenerlebnisses integriert. Um dieses Kundenerlebnis bereitzustellen, werden die Fahrzeug-Produkte und IT-basierte Services wie beispielsweise Mehrwertdienste im Fahrzeug oder im Umfeld des Fahrzeugs zusammengeführt. TQA gestaltet mit der Fahrzeugentwicklung und dem IT-Betrieb die Absicherung ausgewählter Services. Hier werden individuelle und spezielle Absicherungsstrategien für die einzelnen Dienste designt und erbracht. Anforderungen aus der Fahrzeugwelt nach robusten Prozessen und stabilen Produkten in hoher Qualität treffen auf den Wunsch des Kunden nach kurzen Entwicklungszyklen und schnellen Feedbackschleifen – klassische Projektentwicklung und -absicherung trifft auf agile Methodik.

Dies muss kein Widerspruch sein, sondern entspricht dem Wunsch, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Schnelles Time-tomarket in gewohnt hoher Qualität.

Ein Beispiel an dieser Nahtstelle sind die Fahrzeug-Online-Dienste. Diese haben ihre Benutzerschnittstelle in der Fahrzeugwelt und benötigen eine tiefe Integration in IT-Backend-Systeme für umfängliche Datenbereitstellung und Nutzung im Kontext des Fahrzeugs und der Nutzer. Das Absichern dieser Service-Ketten über verschiedene IT-Systeme hinweg ist komplex. Das ACE gestaltet und etabliert mit der Fahrzeugentwicklung agile Ansätze der Entwicklung von zukünftigen Diensten und deren Entstehungsprozessen mit dem Ziel, einfache und schlanke Services und Systemlandschaften zu etablieren.

Fazit

Diese intensive Zusammenarbeit ist ein Transformationsprozess, der zwar durch die Produkt/Service-Digitalisierung getrieben wird, aber weiteren Rahmenbedingungen unterliegt, wie unterschiedliche Releasefrequenzen zwischen IT-Komponenten und Fahrzeugkomponenten und verschiedenen Entwicklungsmodellen.

Ideen und Erfahrungen aus dem IT-Bereich und der agilen Entwicklung können auch für die Fachbereiche hilfreich sein, da sie vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Hier wirken ACE und TQA, um ganzheitliche Lösungen zu gestalten und zu etablieren, die eine angemessene Balance bezüglich Geschwindigkeit und Qualität für ein optimales Kundenerlebnis finden.

Wenn es gelingt, eine ganzheitliche Sicht auf die agile Skalierung zu etablieren, so ist es möglich, Coaching-Aktivitäten auf die Bereiche zu fokussieren, die über Self-Services nicht oder noch nicht abgedeckt werden können.

Dieser Ansatz ermöglicht es, die Geschwindigkeit der Transition im Unternehmen nicht-linear mit der Coaching-Kapazität zu skalieren. In Zukunft wird die Zusammenarbeit von ACE und TQA stärker mit den Geschäftsbereichen erfolgen, um noch höher integrierte und generische Ansätze entwickeln zu können, um Wertströme nach dem agilen Ansatz nachhaltig zu etablieren.

Referenzen

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A. Poth, J, Jacobsen, A. Riel, Systematic Agile Development in Regulated Environments, in: Proc. of Systems, Software and Services Process Improvement. EuroSPI 2020, CCIS 1251,
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A. Poth, M. Kottke, A. Riel, Agile Team Work Quality in the Context of Agile Transformations – A Case Study in Large-Scaling Environments, in: Proc. of Systems, Software and Services Process Improvement. EuroSPI 2020, CCIS 1251,
https://doi.org/10.1007/978-3-030-56441-4_17

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A. Poth, M. Kottke, A. Riel, Scaling agile on large enterprise level, in: Proc. of the 2019 Federated Conf. on Computer Science and Information Systems, ACSIS, Vol. 18,
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A. Poth, M. Kottke, A. Riel, Scaling agile on large enterprise level with self-service kits to support autonomous teams, in: Preproc. of the Federated Conf. on Computer Science and Information Systems, 2020,
https://annals-csis.org/proceedings/2020/pliks/186.pdf

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A. Poth, A. Riel, Quality requirements elicitation by ideation of product quality risks with design thinking, in: Proc. of the 28th IEEE Int. Requirements Engineering Conference (RE’20), pp. 238-249, 2020; DOI 10.1109/RE48521.2020.00034

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A. Poth, M. Kottke, A. Riel, Evaluation of Agile Team Work Quality, in: Proc. of the 21st Int. Conf. on Agile Software Development, LNBIP 396,
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A. Poth, J. Jacobsen, A. Riel, A systematic approach to agile development in highly regulated environment, in: Proc. of the 21st Int. Conf. on Agile Software Development, LNBIP 396,
https://doi.org/10.1007/978-3-030-58858-8_12

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Zu Inhalten
wirkt als IT-Qualitätsmanager mit ausgeprägtem agilem Mindset in der Group IT der Volkswagen AG. Seine aktuellen Schwerpunkte liegen in der Rolle Product Owner für das Quality innovation NETwork (QiNET) und Testing as a Service (TaaS) sowie der Unterstützung von Projekten, Programmen, Organisationseinheiten und Produkt/Service-Teams bei qualitätsbezogenen Themen.
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Christian Heimann

Leiter IT-Bereich
Zu Inhalten

verantwortet den Bereich IT-Qualitätsmanagement und Open Source Compliance in der Group IT der Volkswagen AG. Nach seiner Promotion in Informatik und verschiedenen Managementaufgaben im IT-Bereich der Volkswagen AG leitet er den Bereich Test und Quality Assurance. Er ist ausgebildeter agiler Lotse.

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Stefan Waschk

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ist verantwortlich für das Agile Center of Excellence (ACE) der Group IT der Volkswagen AG und arbeitet aktiv am Ausbau der „Agile Community” in alle Bereiche des Automobilkonzerns. Mittlerweile erfüllen das ACE und die Agile Community einen offiziellen IT-Governance-Auftrag für mehr Agilität und unterstützen Agile Arbeitsweisen inzwischen im gesamten Unternehmen. Als Mitbegründer der DACH30-Gruppe treibt Stefan den Austausch zu funktionierenden Agilen Praktiken mit Agile Leads namhafter Großunt

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