In den letzten Jahren hat der Einsatz Künstlicher Intelligenz einen enormen Aufschwung erlebt. Insbesondere die generative KI hat durch die Einfachheit ihrer Handhabung und die vielfältigen Anwendungsfelder für hohe Aufmerksamkeit gesorgt und das Thema KI nochmals ins Zentrum der medialen Diskussion gerückt. Die Fähigkeit von KI-Systemen, eigenständig Inhalte zu generieren, hat zu beeindruckenden Anwendungen geführt, wie beispielsweise das Erstellen von realistischen Bildern, das Verfassen von Texten oder sogar das Komponieren von Musik [BiL23].
Diese jüngsten Fortschritte in der Generativen KI haben einen regelrechten Hype ausgelöst, der Unternehmen auf der ganzen Welt dazu motiviert, diese Technologie zu nutzen, um ihre eigenen Geschäftsprozesse zu optimieren und eigene innovative Lösungen zu entwickeln. Zudem setzen Unternehmen bereits seit einigen Jahren auf diskriminative KI. Diese Modelle lernen durch statistische Zusammenhänge in den Daten und sind darauf ausgerichtet, neue Muster zu identifizieren oder spezifische Vorhersagen zu treffen. Zum Beispiel werden sie schon lange zur Klassifizierung von E-Mails als "Spam" oder "kein Spam" verwendet, indem sie die charakteristischen Unterschiede in den Worten und Phrasen, die in diesen E-Mails verwendet werden, lernen und erkennen.
Aber natürlich auch Umsatzprognosen, Kundenklassifikationen oder Anomalie-Erkennungen sind gängige Beispiele. Diese Form der Modellentwicklung wird von den meisten größeren Unternehmen mit entsprechenden Entwicklungsbudgets bereits seit mehreren Jahren praktiziert. Dennoch stehen die meisten Unternehmen weiterhin vor zahlreichen Herausforderungen bei der Implementierung von KI-Funktionen in ihren Organisationen.
Eine große Herausforderung besteht darin, eine geeignete Aufbauorganisation zu schaffen, die die Einführung und den Einsatz von KI-Technologien unterstützt. Dies erfordert eine klare Strategie, welche die Identifizierung von Geschäftsbereichen und Anwendungsfällen umfasst, in denen KI sinnvoll eingesetzt werden kann, sowie die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen. Zudem nimmt die bewusste Definition von Rollen und die Zusammensetzung von Teams aus Mitarbeitern mit unterschiedlichen Kompetenzprofilen eine maßgebliche Rolle ein.
Darüber hinaus ist die Ablauforganisation bei der Entwicklung von KI-Lösungen von entscheidender Bedeutung. Dies umfasst die Definition klarer Prozesse und Verantwortlichkeiten, die Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit KI-Systemen und, als eine der größten Herausforderungen, eine geeignete Governance, um organisatorische, aber auch ethische und rechtliche Aspekte zu berücksichtigen.
Für viele Unternehmen stellt die Überführung erster Experimente mit einer KI-Anwendung hin zu einem operativen Betrieb der ausgereiften Lösung die größte Herausforderung dar. So scheiterten im Jahr 2022 weiterhin fast 50 Prozent aller KI-Lösungen beim Übergang von der Pilotphase zur Industrialisierung [Gar22]. Dadurch entstehen hohe Entwicklungskosten und die Dauer von KI-Initiativen erhöht sich. Zudem sinkt der Gesamtnutzen der KI-Lösung sowie die Zufriedenheit ihrer potenziellen Nutzer sowie der Entwicklungsteams. Das macht deutlich, dass viele Unternehmen das Thema KI zwar auf der strategischen Agenda haben, aber vielfach an der konkreten Umsetzung scheitern.
Herausforderungen für KI-Initiativen
Für die Umsetzung eigener KI-Lösungen bestehen in Unternehmen aufgrund der Komplexität der Projekte verschiedene Herausforderungen. Häufig beleuchtet die Forschung technische Herausforderungen wie Datenqualität, mangelnde Erklärbarkeit sowie Probleme in Bezug auf die Informationssicherheit. Ebenso findet im aktuellen Kontext ein ethischer und moralischer Diskurs bezüglich Herausforderungen wie Bias (Voreingenommenheit) in den Eingangsdaten, Verbreitung von Falschinformationen und zunehmender Abhängigkeit von der KI statt [Lir21]. Im Folgenden liegt der Fokus insbesondere auf den strukturellen und organisatorischen Herausforderungen der KI-Entwicklung in Unternehmen. Diese variieren je nach technologischem und analytischem Reifegrad der Organisation.
Viele Unternehmen sind das Thema KI in den letzten Jahren schon aktiv angegangen, jedoch fehlt es oftmals an einer langfristigen Perspektive und klaren Strategie. An verschiedenen Stellen im Unternehmen versuchen Data Scientists als Einzelkämpfer, Anwendungsfälle zu lösen. Aber auch in fortgeschritteneren Unternehmen lässt sich immer wieder beobachten, dass es zwar dedizierte Analytics-Einheiten gibt, allerdings ohne klar definiertes Programm oder eine gesamthafte Ausrichtung entlang der Unternehmensstrategie. Oftmals bleiben dadurch die Ergebnisse unter den Erwartungen, was zu einem Vertrauensverlust auf der Führungsebene führen kann.
Auch wenn das Thema KI in vielen Unternehmen angekommen ist, bleibt eine der größten Herausforderungen das Fehlen von festgelegten Abläufen und Strukturen. Viele Unternehmen konnten aufgrund verschiedener Ursachen wie Mangel an Erfahrung, kulturellen beziehungsweise organisatorischen Barrieren sowie Komplexität und Agilität in der KI-Entwicklung noch keine Prozesse etablieren. Dies kann zu ineffizienter Nutzung von Ressourcen, Missverständnissen und Konflikten im Team sowie Qualitätsmängeln des Produkts führen. Zudem stehen Unternehmen immer noch vor der Herausforderung, Modelle von der Pilotphase in die Produktion zu überführen. Für die Bereitstellung und den Betrieb von Produkten ist insbesondere der Wissenstransfer zwischen Data Scientist und Softwareentwicklern anfällig für prozessuale Herausforderungen, bedingt durch die Komplexität der verwendeten Modelle, den unterschiedlichen Fachjargon und die Arbeitsmethoden [SaS16].
Während des Betriebs von KI-Systemen kommt es häufig zu hohem Aufwand für Wartung und Support. Dieser Aufwand wird durch das Konzept der "technischen Schuld" (Technical Debt) beschrieben. Diese kann beispielsweise durch hohe Modellkomplexität, unzureichende Datenqualität, mangelnde Kommentierung und Dokumentation, unpassendes Systemdesign oder fehlende Reproduzierbarkeit von Ergebnissen entstehen [ScH15]. Ebenso können KI-Modelle im Laufe der Zeit an Leistung verlieren, wenn sie nicht regelmäßig aktualisiert und an neue Daten oder Bedingungen angepasst werden [DaR18].
In Bezug auf den Personalbedarf besteht nicht mehr die Herausforderung, Data Scientists mit einer gewissen Erfahrung am Markt zu finden. Viele Universitäten haben entsprechende Studiengänge eingeführt und die erste Welle an Absolventen ist im Arbeitsmarkt angekommen. Die größere Herausforderung ist nun der Wissenstransfer und der Wandel im Unternehmen. Fachbereiche verstehen oft nur unzureichend, wie eine KI-Lösung funktioniert, und können somit auch nur bedingt ihr Domänenwissen in die Modellentwicklung mit einfließen lassen. Auch mag es für manche beängstigend sein, mit einer intelligenten Technologie zu interagieren, und sie sehen eventuell sogar den eigenen Job in Gefahr. KI-Lösungen sind im Vergleich zu regelbasierten Expertensystemen zudem schwerer nachvollziehbar und somit bleibt zunächst eine gewisse Skepsis. Insbesondere für Unternehmen mit einem geringeren Reifegrad ergeben sich daher weitere Herausforderungen in den Bereichen Befähigung und Change-Management, da gewisse Arbeitsweisen und Kulturen, wie beispielsweise agiles Arbeiten, und auch eine gewisse Datenkompetenz notwendige Bedingungen für den erfolgreichen Aufbau einer KI-Organisation sind [HeD20].
Das Thema Technologie bleibt weiterhin eine Herausforderung
Hier fehlt es mittlerweile keinesfalls mehr an leistungsfähigen Tools und Plattformen, die es ermöglichen, selbstständig komplexe KI-Modelle zu entwickeln und zu betreiben. Meist mangelt es an der Transparenz über verfügbare Daten, dem einfachen Zugriff, an notwendigem Datenwissen respektive einem Datenkatalog, an einer ausreichend langen Historisierung und nicht zuletzt an der Datenqualität. Mangels Interpretations- und Abstraktionsfähigkeit behandelt die KI beispielsweise einen systematischen Datenfehler als signifikantes Signal für die Entscheidungsfindung. Dieser Fehler kann in einer KI aber deutlich leichter übersehen werden als beim klassischen Berichtswesen. Daher hat Datenqualität im Kontext KI einen noch höheren Stellenwert.
Erfolgsfaktoren von KI-Organisationen
In der Unternehmenspraxis haben sich verschiedene Ansätze etabliert, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Auf Basis von Erfahrungswerten haben sich insbesondere die folgenden Maßnahmen als wertvoll erwiesen.
Aufbauorganisation und Service-Delivery-Strategie
Ein entscheidender Faktor ist eine gemeinsame und bereichsübergreifende Strategie, um Anwendern und Kunden KI-Services zu erbringen. Hier erweisen sich aktuell hybride Organisationsstrukturen als die erfolgreichsten. Dies kann dadurch hergeleitet werden, dass eine KI tiefgehenden fachlichen Input benötigt, statistisch einwandfrei arbeiten und zudem IT-Standards erfüllen muss, um stabil und sicher zu funktionieren und zudem skalierbar zu sein. Somit sind für die Entwicklung und den Betrieb unterschiedlichste Bereiche und Kompetenzen essenziell. Das erfordert eine gut strukturierte Aufbauorganisation und eine entsprechende Verbindlichkeit für die übergreifende Zusammenarbeit, um die relevanten Skills im entsprechenden Lebenszyklus der KI einbringen zu können.
Ablauforganisation entlang des KI-Produktlebenszyklus
Für die Ablauforganisation hat sich insbesondere agiles Arbeiten als effektives Modell für die Entwicklung von KI-Lösungen erwiesen, hauptsächlich resultierend aus der inhärenten Unsicherheit und Volatilität, die mit diesen Projekten verbunden sind. Im Gegensatz zu traditionelleren, starren Entwicklungsparadigmen, die oft von vornherein genau definierte Anforderungen und Ziele voraussetzen, setzt Agilität auf Anpassungsfähigkeit und iterative Verbesserung. In einem KI-Projekt, in dem die Daten, Modelle und Kontextvariablen ständig verändert und verfeinert werden können, bietet Agilität den notwendigen Rahmen, um kontinuierlich auf neue Informationen und Erkenntnisse zu reagieren. Darüber hinaus fördert das agile Arbeiten die enge Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den verschiedenen Rollen in einem KI-Projekt, um beispielsweise den Wissenstransfer zu erleichtern.
Agiles Arbeiten allein birgt allerdings das eingangs erwähnte Risiko, dass Anforderungen und Projektinhalte schleichend erweitert werden, sodass Projekte kein Ende finden und die Budgetplanung letztendlich überschritten wird. Daher empfiehlt es sich, Projekte in Phasen zu strukturieren (vgl. Abbildung 1) und mit einem entsprechenden hybriden, übergreifenden Projektmanagement zu steuern, was agiles Entwickeln ermöglicht, aber gleichzeitig eine höhere Planungssicherheit erzeugt. Das erfordert klare Prozessabläufe, eine gute Projekt-Governance und vor allem Mitarbeitende mit den entsprechenden Skills und Erfahrungen.
Abb. 1: Phasen der Produktentwicklung
Hinsichtlich der Arbeitsabläufe in der Entwicklung ist zu Beginn einer KI-Entwicklung nach wie vor der CRISP-DM (Cross Industry Standard Process for Data Mining) bewährt. Hinsichtlich Industrialisierung, Bereitstellung und kontinuierlicher Weiterentwicklung ist MLOps heutzutage ein gängiger Standard als Weiterentwicklung von DevOps.
Organisation für den Regelbetrieb
Auch die Organisation für den Regelbetrieb ist ein kritischer Faktor und wird von vielen Unternehmen auf der letzten Meile zu spät berücksichtigt. Zunächst sollten im Betrieb die wichtigsten Qualitätskennzahlen kontinuierlich überwacht und Anfragen der Nutzer mit entsprechender Priorität beantwortet werden. Besonders bei KI-Produkten, die Entscheidungen in kritischen Geschäftsbereichen automatisieren, muss durch eine Service-Organisation mit klaren Prozessen ein stabiler Betrieb sichergestellt werden. Hier bietet ITIL einen passenden Standard, dieser sollte aber speziell für KI noch mal durchdacht und angepasst werden. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Bearbeitung eines Tickets mit dem Inhalt "Die KI hat eine unerwartet hohe Bestellung ausgelöst" passende Abläufe und Kompetenzen für das Incident- und Problemmanagement benötigt.
Rollen und Skills
Rollenprofile und deren Definitionen unterscheiden sich zuweilen in der Bezeichnung und konkreten Ausgestaltung ihrer Aufgaben und Verantwortlichkeiten je nach Unternehmensgröße und Branche, die betrachtet werden. Erfolgskritisch bleibt jedoch das Bewusstsein über einzelne Anforderungen über den Produktlebenszyklus hinweg und der damit verbundene Einsatz unterschiedlicher Skill-Profile in verschiedenen Phasen der Produktentwicklung (vgl. Abbildung 2).
Abb. 2: Über den Entwicklungszyklus hinweg bedarf es verschiedener Rollen in den einzelnen Unternehmensbereichen
Im Folgenden wird auszugsweise auf einige Rollen eingegangen. So steht zu Beginn einer KI-Entwicklung der Machbarkeitsnachweis in einem Proof of Concept im Vordergrund. Dies erfolgt typischerweise in kleineren Data-Science-Teams und in kurzen Zyklen. Eine besondere Bedeutung nimmt die Translator-Rolle ein: Sie ist Brückenbildner zwischen Fachbereich und IT/Analytics und vermittelt dabei zwischen den technischen Teams und den Fachleuten ohne umfangreiche technische und statistische Hintergrundkenntnisse (zum Beispiel Marketing, Vertrieb, Einkauf etc.). Der Translator unterstützt die Fachbereiche dabei, besser zu verstehen, wie eine KI funktioniert und was sie ermöglicht, und stellt auf der anderen Seite sicher, dass die Anforderungen der Fachbereiche verstanden werden und letztendlich die technische Umsetzung den Erwartungen entspricht [Qua23].
Sobald es nach dem Proof of Concept um die Entwicklung eines ersten wertstiftenden Produkts geht, wird die Einbindung eines Prozess-Experten zunehmend wichtiger. Dadurch kann das notwendige Fachwissen für die Modellentwicklung eingebracht und die KI bestmöglich in den Geschäftsalltag integriert werden. Dem gegenüber steht der Product Owner, der die Produktentwicklung steuert. Er ist verantwortlich für die Definition und Priorisierung der Anforderungen und muss sicherstellen, dass die entwickelten Funktionalitäten den Anforderungen entsprechen.
Von technischer Seite nimmt ab der Industrialisierung der MLOps Engineer eine weitere wichtige Rolle im Entwicklungsteam ein. Er ist für die Einrichtung, Verwaltung und Optimierung der Entwicklungs- und Bereitstellungsinfrastruktur verantwortlich. Hierzu zählt insbesondere der Aufbau von Pipelines für die kontinuierliche Integration, das Testen und die Bereitstellung von KI-Anwendungen, um eine schnelle Iteration und Qualitätssicherung zu ermöglichen (siehe auch Continuous Integration (CI) und Continuous Delivery (CD)). Im Betrieb ist er zudem dafür verantwortlich, die Leistung der KI-Modelle zu verbessern und sicherzustellen, dass sie sich an sich verändernde Daten anpassen können.
Nicht zu unterschätzen ist die Beteiligung des Managements über den gesamten Ablauf hinweg: Die Rolle des Managers oder Sponsors besteht darin, die Ressourcen und Kapazitäten bereitzustellen, die benötigt werden, um das KI-Projekt durchzuführen. Das können Budget, Personal und Unterstützung von höherer Ebene sein. Sie tragen zur Ausrichtung des Projekts an der Geschäftsstrategie bei. Gerade um fachbereichsübergreifend Innovation im Kontext KI zu ermöglichen, sind Freiräume und verfügbare Kapazitäten notwendig, um die Ideenfindung und die Entwicklung neuer Use-Cases zu ermöglichen.
Neben der Bereitstellung relevanter Ressourcen spielt auch das Thema Governance und Steuerung eine erfolgskritische Rolle: Das Management ist dafür verantwortlich, die notwendigen Rahmenbedingungen und die Guidelines für die Entwicklung zu etablieren. Hierunter fallen unter anderem folgende Aspekte:
- Definition relevanter Prozesse, nach denen die gesamte Entwicklung von der Ideenfindung bis zur Industrialisierung ablaufen kann
- Berücksichtigung von Compliance und Datenschutz
- Einbeziehung legaler und ethischer Anforderungen in den Entwicklungsprozess
- Ausgestaltung des Use-Case-Portfoliomanagements
- Definition von Entwicklungsstandards, um übergreifende Kollaboration zu ermöglichen
Governance
Das Thema Governance ist im Kontext KI sehr umfangreich, daher sollte diesem Punkt eine entsprechend hohe Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wie bereits angesprochen, ist für Data Science eine ausreichende Flexibilität notwendig, um Innovation zu ermöglichen. Dazu gehört auch das Scheitern und sollte unbedingt zur Kultur gehören, hier ist allerdings "Fail fast" ein nützliches Prinzip. Auf der anderen Seite ist eine angemessene Projekt-Governance wichtig, um hinreichend steuern zu können. Zum Beispiel ist von Beginn an der Aufbau einer Produkt-Vision und eines Business-Case ein wichtiges Element. Dies ermöglicht ein zentrales Management der Use-Case-Pipeline und eine Priorisierung nach dem potenziellen Wertbeitrag und schafft gleichzeitig eine hohe Transparenz gegenüber dem Management (vgl. Abbildung 3).
Abb. 3: Beispiel für ein initiales Use-Case-Management
Während des Projekts dient der Business-Case als Entscheidungsgrundlage für die Finanzierung der Initiative und ist somit kritisch für den Fortbestand des KI-Produkts. Dazu gehört ebenfalls ein effektives Risikomanagement, das gleichzeitig das richtige Mindset beinhaltet. Durch die hohe Unsicherheit zu Beginn eines Data-Science-Projekts gestaltet es sich in der Praxis oft schwierig, den ROI exakt zu berechnen, da der erwartete Nutzen vor der Durchführung eines Proof of Concept (PoC) kaum quantifizierbar ist [MaW19]. Daher ist zu Beginn das Projekt selbst eine Maßnahme, um Ungewissheiten und damit Risiko zu reduzieren. Das entsprechende Investment, respektive Zeit und eingesetzte Ressourcen, muss daher im richtigen Verhältnis zum Potenzial stehen.
Hinsichtlich der Governance der KI-Lösung stellt ein effektives Monitoring- und Reporting-System ebenfalls einen Schlüsselfaktor für den erfolgreichen Betrieb von KI-Lösungen dar. Diese Systeme ermöglichen die kontinuierliche Überwachung des KI-Produkts und reagieren entsprechend auf mögliche Probleme, Performance-Verluste oder Anomalien. Da eine KI jedoch nicht vorprogrammierte Regeln und Berechnungen durchführt, ist ein automatisiertes Testing mit definierten Unit-Tests nicht analog umsetzbar. Im MLOps-Ansatz spielen neben den gängigen Spezifika einer CI/CD-Pipeline aus der klassischen Softwareentwicklung beim Regelbetrieb von KI-Modellen insbesondere die Versionskontrolle von Daten, das automatisierte Testing zur Detektion von Modell-Drifts (Abweichung von Modellausgaben durch veränderte Daten), die automatisierte Bewertung der Modelle sowie die Containerisierung von Modellen eine erfolgskritische Rolle [KaA20]. Erst kürzlich wurde durch eine Studie der Stanford University und UC Berkeley bekannt, dass die weltweit bekannte KI ChatGPT über den Untersuchungszeitraum hinweg mit der Zeit andere beziehungsweise schlechtere Ergebnisse ausgegeben hatte [ChZ23]. Das Beispiel verdeutlicht, wie wichtig das kontinuierliche Monitoring von KI-Lösungen ist – die Relevanz nimmt dabei zu, je häufiger und wichtiger die Entscheidungen sind, die von oder auf Basis einer KI getroffen werden.
Neben der rein statistischen Beurteilung des Modells muss bei einer (Künstlichen) Intelligenz aber auch sichergestellt werden, dass sie nach Normen und Werten handelt. So besteht beispielsweise bei einer KI das Risiko, dass in den Trainingsdaten ein gewisser Bias existiert und dadurch die "Fairness" des Modells beeinträchtigt wird oder dass auf Basis des Modells Entscheidungen getroffen werden, deren Gründe nicht nachvollzogen werden können [Dig19]. Entsprechende Risiken müssen bereits während der Entwicklung und in der Modellauswahl berücksichtigt werden. Der EU AI Act, der aktuell ausgearbeitet wird, wird hier in naher Zukunft noch weitere regulatorische Anforderungen bringen, für deren Einhaltung eine entsprechende KI-Governance in Unternehmen essenziell werden wird.
Technology and Data Modernization
Für eine KI-Architektur gibt es mittlerweile unzählige technische Möglichkeiten, und die richtige Plattform- und Technologieauswahl hat mit vielen firmenindividuellen Faktoren zu tun. Allgemein kann man sagen, dass die codebasierte Entwicklung nach wie vor die größte Flexibilität bietet und auch rechenintensive Algorithmen mit entsprechenden Technologien skalierbar sind. Hier sehen viele Unternehmen den klaren Vorteil in Cloud-Technologien, um zum Beispiel temporär für Entwicklungen Umgebungen bereitzustellen oder auch für ein ressourcenintensives Modelltraining die notwendige Rechenleistung nur kurzfristig abzurufen. Ebenfalls besteht so die Möglichkeit, unternehmensweit auch Fachbereichen Technologien bereitzustellen, um dadurch den Wandel zu einem datengetriebenen Unternehmen zu ermöglichen.
Unabhängig von der genutzten Technologie ist jedoch entscheidend, eine Data & Analytics-Plattform zu schaffen, die sämtliche unternehmensspezifischen BI- und Analytics-Anforderungen erfüllt und gleichzeitig ein integriertes, harmonisiertes und ausreichend lange historisiertes Datenmodell als Single Source of Truth enthält. Dabei steigt die Notwendigkeit einer hohen Datenqualität und damit die Relevanz einer guten Data Governance. Auch Datenschutz ist ein wichtiges Thema. Beispielsweise ist bei der Verwendung personenbezogener Daten eine enge Abstimmung der KI-Funktion mit Datenverantwortlichen und Datenschutzbeauftragten erforderlich, um das Risiko eines Datenschutzvergehens zu minimieren.
Die beschriebenen Erfolgsfaktoren, wie beispielsweise Ablauforganisation und Steuerungsmechanismen, bedingen sich gegenseitig und entfalten daher aufgrund ihrer Interdependenzen insbesondere in der Kombination ihr größtes Wirkungspotenzial. Der Einsatz lediglich vereinzelter Maßnahmen wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die gewünschten Effekte erzielen. Zur Realisierung der Erfolgsfaktoren wird somit im ersten Schritt oft ein Zielbild der KI-Organisation erarbeitet und die Maßnahmen entlang dieses Zielbildes aufeinander abgestimmt.
Umsetzung der Erfolgsfaktoren im Operating Model
Die Transformation von Unternehmensfunktionen ist eine vielschichtige und komplexe Aufgabe. Spezifische Handlungsanweisungen und Methoden, um diese Erfolgsfaktoren zu realisieren, sollten in das Betriebsmodell (Operating Model) der KI-Funktion integriert werden. Damit diese Transformation gelingt, können die Erfolgsfaktoren entlang der verschiedenen Dimensionen des Betriebsmodells der KI-Organisation integriert werden:
- Aufbauorganisation: Eine durchdachte Aufbauorganisation unterstützt die effektive Entwicklung von KI-Produkten durch präzise Ressourcenzuweisung, klare Rollenverteilung und Einbindung in die Unternehmensstrategie. Diese ermöglicht eine zielgerichtete Steuerung und Leistungserbringung in der KI-Organisation.
- Ablauforganisation: Durch die Schaffung eines klaren End-to-End-Prozesses entsteht ein gemeinsames Verständnis für alle Beteiligten, was die Zusammenarbeit und Kommunikation über verschiedene Teams und Abteilungen hinweg erleichtert. Durch prozessuale Transparenz lassen sich zudem Initiativen besser steuern und ein Executive-Buy-in wird hierdurch erleichtert.
- KI-Governance: Die Etablierung einer starken Governance-Struktur ist entscheidend für die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung von KI-Produkten, da sie durch Standardisierung, operative Kontrolle und wertorientierte Herangehensweisen Qualität, Effizienz und Transparenz fördert.
- Technologie: KI-Plattformen, Cloud-Services und spezifische Machine-Learning-Frameworks ermöglichen nicht nur die Implementierung komplexer KI-Modelle, sondern auch die Integration dieser Modelle in bestehende IT-Infrastrukturen und Geschäftsprozesse. Dabei ist eine entsprechende Datenplattform die Basis für jede Form der KI-Entwicklung.
Zusammenfassung und Ausblick
Um den gängigen Herausforderungen bei der Entwicklung von KI-Lösungen zu begegnen, bedarf es einer effektiven KI-Organisation. Hierbei müssen verschiedenste Dimensionen und Erfolgsfaktoren betrachtet werden und diese im Idealfall in das Operating Model integriert werden. Die technologischen Errungenschaften und Weiterentwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz werden sich nach einstimmiger Meinung von Branchenexperten in den nächsten Jahren noch weiter beschleunigen. Quantität und Qualität von KI-basierten Lösungen nehmen rapide zu und potenzielle Anwendungsbereiche zum Einsatz dieser Technologien wachsen demnach kontinuierlich. Der Aufbau einer effektiven KI-Organisation mit einer entsprechenden Governance stellt dabei die Grundlage dar, um ebenjene Technologien zu beherrschen, und gehört damit nicht nur auf die strategische Agenda, sondern sollte vom Management mit höchster Priorität verfolgt werden.
Weitere Informationen
[BiL23] Bilgram, V. / Laarmann, F.: Accelerating Innovation with Generative AI: AI-Augmented Digital Prototyping and Innovation Methods. In: IEEE Engineering Management Review, 51/02, 2023
[ChZ23] Chen, L. / Zaharia, M./ Zou, J.: How Is ChatGPT’s Behavior Changing over Time? In: arXiv.org, 2023
[DaR18] Davenport, T. H. / Ronanki, R.: Artificial intelligence for the real world. In: Harvard Business Review, 96(1), 2018
[Dig19] Dignum, V.: Responsible artificial intelligence: how to develop and use AI in a responsible way. Springer 2019
[Gar22] Gartner: Gartner Survey Reveals 80% of Executives Think Automation Can Be Applied to Any Business Decision. 22.8.2022,
https://www.gartner.com/en/newsroom/press-releases/2022-08-22-gartner-survey-reveals-80-percent-of-executives-think-automation-can-be-applied-to-any-business-decision, abgerufen am 11.9.2023
[HeD20] Heizenberg, J. / Duncan, A. D.: 5 Pitfalls to Avoid When Designing an Effective Data and Analytics Organization. Gartner 2020
[KaA20] Karamitsos, I. / Albarhami, S. / Apostolopoulos, C.: Applying DevOps Practices of Continuous Automation for Machine Learning. In: Information, 11(7) 2020, S. 363
[Lir21] Liran, A.: Challenges in Using AI. In: Institute for National Security Studies, Chapter 11, 2021
[MaW19] Marr, B. / Ward, M.: Artificial Intelligence in Practice: How 50 Successful Companies Used AI and Machine Learning to Solve Problems. Wiley 2019
[Qua23] Quan, M.: The Disruptive Potential of AI System Solutions: Evidence from AI Translators. In: Academy of Management, 2023
[SaS16] Saltz, J. / Shamshurin, I.: Big data team process methodologies: A literature review and the identification of key factors for a project’s success. In: IEEE International Conference on Big Data, 2016
[Scu ScH15] Sculley, D. et al.: Hidden technical debt in machine learning systems. In: Advances in neural information processing systems, 2015