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Hysterisch gewachsen – und nun?

Manchmal muss man da einfach durch: Sich Herausforderungen im Unternehmen stellen und eine nachhaltige Softwareentwicklung aufbauen.
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Richard Seidl

Berater, Coach und Autor


  • 04.03.2024
  • Lesezeit: 4 Minuten
  • 137 Views

Es ist immer wieder ein Jammer. Ich komme in Unternehmen und sehe deren IT- und Software-Landschaften. Aber statt dem schönen Auenland, wo die Wiesen saftig, die Obsthaine ertragreich und die Vorgärten gepflegt sind, sehe ich dann Mordor, mit schwefeligen Sümpfen, aschebedecktem Land und unfruchtbarem Boden. Und hin und wieder schaut ein Ork um die Ecke.

Da werden an längst veralteten Systemen, die kaum jemand mehr pflegen kann, weiter irgendwelche Adapter rangebaut, damit man Daten kreuz und quer herumschieben kann. Batches und Jobs transformieren Datenbestände mit zweifelhafter Datenqualität. Und wenn ein System so gar nicht reinpasst, wird ein ebenso komplexer Wrapper selbst entwickelt und drübergelegt. Die Gesamtarchitektur ist des Namens nicht würdig, weil jedes System hoch verzahnt mit den anderen halt irgendwie in einer Symbiose lebt.

Und dann gibt es den Wunsch, jetzt DevOps und CI/CD einzuführen. Nur hängen die Systeme so stark voneinander ab, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. So wird das mit ein paar Insellösungen verprobt, der Rest bleibt dann erst einmal so, wie er ist.

Leider ist das kein Einzelfall und grade in größeren Unternehmen oft anzutreffen. Und anstatt sich dem Thema zu widmen, lenkt man sich ab: mit einer agilen Transformation (die in diesem Setting auch schnell an Grenzen stößt) oder neuerdings mit KI. Aber beides löst das eigentliche Problem nicht: die Altlasten der letzten 20 bis 30 Jahre. Im Gegenteil: Das ganze Rangeflansche erzeugt noch mehr technische Schulden.

Ich habe bis jetzt leider kein Unternehmen kennengelernt, dass sich ernsthaft durch dieses Tal der Tränen traut, das heißt, sich mit Energie, Aufwand und Geld um den Sondermüll der Vergangenheit kümmert (Gegenbeispiele mögen sich gerne bei mir melden!) Zugegeben, es spricht natürlich einiges dagegen:

  • Features: An vielen Stellen wäre eine Komplexitätsreduktion möglich. Nur "Vielleicht braucht jemand dieses Feature ja noch mal" oder "Wir wissen gar nicht, ob und wer das noch verwendet – lassen wir es besser drinnen". Selbst wenn die Kosten-Nutzen-Rechnung ergibt, das Feature kommt besser weg – kommt von hinten eine Meldung "Ich brauche das aber". Und es bleibt.
  • Politik: Erstaunlich oft werden diese Initiativen gar nicht durch technische Einschränkungen verhindert, sondern durch Nicht-Wollen. Letztendlich geht es dabei um Macht. Egal ob Projekt-, Team-, Abteilungsoder Bereichsleiter – jeder hat seinen Claim, sein Budget, seine Verantwortung. Da ist es dann schnell vorbei mit der ganzheitlichen Sicht auf eine IT-Landschaft. Koalitionen, Grabenkämpfe, Stellvertreterkonflikte und fehlende Durchsetzungskraft kann man hier durch die Bank beobachten.
  • ROI: Bei KI und Agilität kann man sich einen kurzfristigen Nutzen recht leicht schönrechnen. Bei der Vergangenheitsbewältigung von Altsystemen ist das schwierig. Denn im Endeffekt entsteht ja nichts Neues. Die Systeme können das gleiche oder weniger (weil nicht gebraucht) als vorher – wenn auch wahrscheinlich effizienter, transparenter und nachhaltiger.

Warum sollte man das denn dann überhaupt tun? Für mich sprechen viele Faktoren dafür – der kurzfristige Gewinn ist aber keiner davon. Und das ist wahrscheinlich auch das Problem. Aber bei der Wertschöpfung, die heute durch Software entsteht, geht es hier um mehr: um das langfristige Überleben des Unternehmens, um Attraktivität für neue Mitarbeiter, um Skalierbarkeit und Flexibilität. Ich glaube, vielen Unternehmen ist gar nicht bewusst, dass ihr „Wert“ eigentlich in der Software liegt, seien es Banken, Versicherungen oder Energieunternehmen.

Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass hier mehr Bewegung in die Branche kommt und so manches Goldnugget zum Vorschein kommt.

Das Artikelbild wurde mittels KI generiert.

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Richard Seidl

Berater, Coach und Autor
Zu Inhalten

Richard Seidl ist Berater, Coach und Autor. Er hat in seiner beruflichen Laufbahn schon viel Software gesehen: gute und schlechte, große und kleine, neue und alte. Software so schön, dass man weinen könnte, und auch solche, wo es Fußnägel aufrollt. Für ihn ist klar: Wer heute exzellente Software kreieren möchte, denkt den Entwicklungsprozess ganzheitlich: Menschen, Kontext, Methoden und Tools.


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