JavaSPEKTRUM: Volkswagen entwickelt sich zum softwaregetriebenen Automobilkonzern. Wie gehen Sie vor?
Goerke: Die Digitalisierung hat zu einer hohen Komplexität im Auto geführt. Um sie optimal zu beherrschen, wurde mit der Car.Software-Organisation ein Software-Powerhouse etabliert. Hier werden die technologische und die Software-Kompetenz innerhalb des Volkswagen Konzerns gebündelt. Wir definieren und entwickeln dort markenübergreifende Standards für die Software-Architektur der vernetzten Fahrzeug- und digitalen Ökosysteme bei Volkswagen.
Wie lautet der konkrete Auftrag für die Car.Software-Organisation?
Der Fokus der Car.Software-Organisation liegt auf der Entwicklung der einheitlichen Software-Umfänge für alle Marken, also von Volkswagen Pkw über Audi bis Porsche und weitere Marken, sowie Märkte im Konzern. Es geht hierbei vor allem um das Fahrzeug-Betriebssystem VW.OS und die Anbindung an die dazugehörige Volkswagen Automotive Cloud. Darüber hinaus bündelt die Car. Software-Organisation künftig die technologischen Plattformlösungen für datengetriebene Geschäftsmodelle und Innovationen im Konzern.
Die Car.Software-Organisation soll im Jahr 2025 rund 10000 Mitarbeiter umfassen. Der VW-Konzern wäre damit quasi aus dem Stand das zweitgrößte Softwarehaus Deutschlands.
Das ist ein kraftvolles Vorhaben. Und übrigens: Im Volkswagen Konzern arbeiten weltweit bereits rund 14 000 Spezialisten in der Konzern-IT, also an der Digitalisierung des Unternehmens. Mit dem Fokus auf das Auto kommen in der Car.Software-Organisation also noch weitere Fachkräfte hinzu. Im Zielausbau wollen wir mit einer Investition von sieben Milliarden Euro und rund 10 000 Mitarbeitern die Eigenleistung von heute durchschnittlich zehn auf über 60 Prozent steigern. Damit können wir auch die Wertschöpfung vergrößern.
››Volkswagen als ein vom Maschinenbau geprägtes Unternehmen in den SoftwareModus zu bekommen, ist die große Herausforderung‹‹
Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Der große Eigenanteil von Software kann nicht mit den klassischen Methoden aus dem Maschinenbau entstehen. Und Volkswagen als ein vom Maschinenbau geprägtes Unternehmen in den Software-Modus zu bekommen, ist die große Herausforderung. Das werden wir mit konsequentem Einsatz von agilen Arbeitsmethoden schaffen. Sie werden als die Standardprozesse innerhalb der Organisation etabliert. Dabei lernen wir auch von den klassischen Methoden in der Softwareentwicklung. Agilität setzt ja nicht nur den Einsatz von entsprechenden Tools und Methoden voraus, sondern auch eine neue Kultur und das Gewinnen von Talenten. Damit entsteht ein schlagkräftiger Mix.
Ein Schwerpunkt soll das VW.OS als KFZ-Betriebssystem darstellen. Lässt es sich mit dem eines Rechners vergleichen?
Wir fassen den Begriff VW.OS etwas breiter. VW.OS basiert auf einem Plattform-Ansatz. Klassische Fahrzeug-Architekturen sind eher vertikal ausgerichtet und in die Hardware integriert – die Software ist mit einer spezifischen Hardware gebündelt. Wir wollen jedoch Hardware-Layer, Betriebssystem-Layer und Kunden-Anbindung konsequent voneinander entkoppeln. VW.OS soll alle Dienste im Auto steuern, von Assistenzsystemen bis hochautomatisiertes Fahren und Parken. Das Ziel ist ein digitales Ökosystem, in dem Daten zwischen mobilen Geräten wie Smartphones von Kunden, den Anwendungen im Auto, dem Hersteller, Händlern und weiteren Dienstleistern ausgetauscht werden.
››VW.OS soll alle Dienste im Auto steuern‹‹
Was sind die Vorteile?
Wir können unabhängige Innovationszyklen und schnellere Updates realisieren. In der Hardware gibt es üblicherweise Innovationszyklen von zwei bis sechs Jahren. Im Safety-Bereich sind die Innovationszyklen ein bis zwei Jahre. Auch Kunden erwarten häufige Updates, das Auto soll sich immer digital frisch anfühlen. Hier sollen die Innovationszyklen kurz sein, beispielsweise einmal im Monat oder einmal im Quartal. Für neue Kundenfunktionen muss damit die Hardware nicht mehr ausgetauscht werden.
Das eröffnet auch neue Geschäftsmodelle?
Ja, denn Kunden können ihr Auto beispielsweise in einem App-Ökosystem über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs aktualisieren, egal ob es sich um den ersten oder vierten Besitzer des Autos handelt. Wenn im Technologie-Stack die zugrunde liegende Hardware-Infrastruktur aus Netzwerk, Aktoren und Sensoren mit dem Software-Layer „oben” verbunden wird, um über ein „Software Development Kit” effiziente Laufzeitumgebungen bereitzustellen, dann lassen sich darauf aktualisierbare Endkundenfunktion realisieren. Deshalb hat das VW.OS für uns höchste Priorität. Es ist die technologische Basis für sämtliche Fahrzeuge im VW-Konzern.
Plattform-Gedanke, Standardisierung wie in der Welt der kom- merziellen Software übertragen in KFZ-Produktion und Fahrzeug-Design – ist das der Beginn einer „Revolution im Fahrzeug“?
In wenigen Jahren werden das Betriebssystem eines Autos und seine Vernetzung mit einer hochsicheren Daten-Cloud den entscheidenden Unterschied ausmachen. Dabei wird die Entwicklung im Fahrzeug sich konsequenter in Richtung Entkopplung von Hardware und Software bewegen und wesentlich stärker in die Anwendung von Konzepten gehen, die man aus der klassischen IT-Welt kennt. Das hat Auswirkungen auf das Design von Hardware und Software. In dieser sich verändernden Gesamtsituation wird man auch darüber nachdenken müssen, wie die entsprechenden Player in diesem Feld in Zukunft zusammenarbeiten und zu einem funktionierenden Gesamtkonstrukt beitragen.
››Das Rennen ist noch nicht gelaufen‹‹
Wie wollen Sie den Vorsprung von Konkurrenten wie Tesla oder Google aufholen?
Das Rennen ist noch nicht gelaufen. Der Volkswagen Konzern hat noch alle Karten in der Hand. Wir haben im Konzern exzellente Kompetenz im Automobilbau und industrieller Großproduktion. Und wir können einen großen Vorteil der Skalierung ausspielen, das gilt für die Themen Software, Innovationen und Belieferung des Markts mit digitalen Neuerungen. Und last but not least verfügen wir im Konzern über großes digitales Know-how, das wir jetzt in der Car.Software-Organisation bündeln, um uns auf eine übergreifende Lösung zu fokussieren. Wir sind zwar nicht als Erste gestartet, aber wir wollen am Ende unter den Ersten sein, die ins Ziel einlaufen.
VW gilt als hierarchisch geführter Konzern. Wie viel Freiraum hat die Car.Software-Organisation?
Die Car.Software-Organisation wurde als eigenständige Geschäftseinheit im Konzern etabliert. Wir haben nicht nur den Freiraum, sondern auch die Aufgabe als Unternehmen, die digitale Transformation durchzuführen, indem Know-how aus den Fahrzeug-Produktionsprozessen mit Software-Know-how kombiniert wird.
››Open Source wird uns ermöglichen, mithilfe einer Community bestmögliche Lösungen zu liefern‹‹
In der kommerziellen Software-Welt spielt Open Source eine wachsende Rolle. Automobilhersteller setzen dagegen auf proprietäre Systeme. Gibt es dafür Gründe?
Hier ist viel historisch bedingt. Und vielleicht geht es auch bei den OEMs nicht ganz so schnell wie in Enterprise-IT-Unternehmen. Autobauer sind traditionell gewohnt, monolithische Lösungen zu bauen. Doch das ändert sich gerade: Wir entwickeln das VW.OS nicht auf der grünen Wiese, sondern wir kombinieren eigene Software mit etablierten Markt-Lösungen – und integrieren auch zunehmend Open-Source-Standards. So wird Linux im VW.OS eine zentrale Rolle spielen. Am Ende wird uns Open Source ermöglichen, mithilfe einer Community bestmögliche Lösungen liefern zu können.
Björn Goerke ist Chief Technology Officer (CTO) der Car.Software-Organisation. Vorher war der Diplom-Informatiker beim Softwareunternehmen SAP.
Das Interview führte Christoph Witte, E-Mail: cwitte@wittcomm.de