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Quantencomputer made in Germany: Die Expertise ist vorhanden – jetzt ist Tempo gefragt

Europa hinkt hinterher, wenn es darum geht, starke Grundlagenforschung in industrielle und kommerzielle Anwendungen zu verwandeln. Beim Quantencomputing soll das anders laufen, deshalb will die deutsche Bundesregierung zwei Milliarden Euro in die Entwicklung eines leistungsfähigen Quantencomputers „Made in Germany“ investieren. JavaSPEKTRUM sprach mit den Physikern Professor Rudolf Gross und Professor Stefan Filipp vom Walther-Meißner-Institut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die von München aus Deutschland im weltweiten Wettlauf in eine Spitzenposition bringen wollen.
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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum


  • 29.01.2021
  • Lesezeit: 9 Minuten
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Zurzeit herrscht viel Hype um Quantencomputer, obwohl universelle Quantencomputer je nach Expertenmeinung noch fünf bis zehn Jahre entfernt sind. Woher kommt der Hype und ist er gerechtfertigt?

Filipp: Ein Grund für den Hype liegt auf der wissenschaftlichen Seite. Quantencomputer eröffnen ungeahnte Rechenmöglichkeiten, beispielsweise in molekularen und atomaren Bereichen. Konventionelle Computer bieten diese Rechenleistungen nicht. Die andere Seite: Bisheriges Computing selbst stößt an seine Grenzen. Die Anzahl der Transistoren verdoppelt sich alle 1,5 Jahre. Damit wird es immer schwieriger, einen Return on Invest zu generieren. Transistoren mit Strukturgrößen unter zehn Nanometer zu bauen, ist aufwendig und teuer. Auch das ist ein Grund, warum sich Hersteller wie IBM überlegen, wie sich generell bessere Rechenleistungen zur Verfügung stellen und neue Prozessorarchitekturen aufbauen lassen. Dabei ist Quantencomputing eine Möglichkeit.

Gross: Quantencomputer werden in der Theorie außerdem seit langer Zeit diskutiert. In den 80er-Jahren herrschte noch die Meinung vor, ihre Konstruktion sei sehr schwierig und die Kontrolle von Quantensystemen sei nicht möglich. Hier gab es in der Zwischenzeit große Fortschritte. Inzwischen wurden verschiedene Plattformen entwickelt und es wurde deutlich, dass sich Quantensysteme sehr wohl kontrollieren und manipulieren lassen. Außerdem: Bei jetzigen Computern stößt man nicht nur an die Grenzen der Rechenleistung, sondern auch an die des Energieverbrauchs. Der Höchstleistungsrechner in Garching weist einen Stromverbrauch von etwa 10 Megawatt auf. Sollen damit noch komplexere Probleme behandelt werden, gerät man ans Limit. Es sind neue Konzepte nötig – und Quantencomputing ist eines davon. Die aktuellen Fortschritte – auch bei der Implementierung der Hardware – haben den Hype getriggert

››Jetzige Computer stoßen nicht nur an die Grenzen der Rechenleistung, sondern auch an die des Energieverbrauchs‹‹

Halten Sie den Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren für realistisch?

Gross: Ich bin mit Prognosen vorsichtig. Von den riesigen Röhrenmaschinen der 1940er-Jahre bis heute hat sich viel getan – das dauerte allerdings 80 Jahre. In zehn Jahren werden wir beim Quantencomputing sicher Fortschritte sehen. Weitere Vorhersagen sind schwierig.

Abb. 1: Vorstellung des Quantencomputers

Was sind die größten Probleme?

Filipp: Die größten Probleme heißen Quantität und Qualität. Die Rechenleistung von Quantencomputern verläuft nicht linear, sondern kann bestenfalls sogar exponentiell mit jedem zusätzlichen Qubit verlaufen. Doch nicht nur deren Anzahl, sondern auch deren Qualität ist entscheidend, also die Verschränkungen und die Kohärenzzeit, in der das Quantensystem stabil bleibt, um zu rechnen – sonst kommt es zu fehlerhaften Informationen. Unser Ziel ist es, diese Zeit zu verlängern und die Zahl der Qubits zu steigern.

››Ich glaube schon, dass wir in den nächsten 10 Jahren Anwendungen sehen werden‹‹

Wann werden wir kommerzielle Anwendungen sehen, von denen auch Nicht-Wissenschaftler profitieren?

Filipp: Pharma, Energie und Rohstoffe sowie der Finanzsektor können davon profitieren. Große Vorteile bringt ein Quantencomputer, wenn es etwa um das Simulieren komplexer chemischer Moleküle geht. Damit kann beispielsweise berechnet werden, wie wirksam ein bestimmtes Medikament im Körper des Menschen ist. Ein weiteres Einsatzgebiet eröffnet sich bei Transaktionen mit verschlüsselten Dateien. Diese Rechenleistungen sind bereits durchaus praxisrelevant. Wir machen große Fortschritte. Ich glaube schon, dass wir in den nächsten zehn Jahren Anwendungen sehen werden.


Gross: Als der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman nach dem Potenzial der Nanotechnologie gefragt wurde, antwortete er: „There’s plenty of room at the bottom“ – es ist noch viel Raum nach unten. Ich denke, dass wir uns die Anwendungen, die irgendwann mal kommen, noch gar nicht vorstellen können. Als man Röhrencomputer baute, hat auch noch niemand an das Internet gedacht.

Die Ziele sind hochgesteckt und die Erwartungen an die Technologie groß. Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Filipp: Wir müssen Erwartungsmanagement betreiben: Wir können Innovationen erwarten, aber nicht versprechen, dass wir in fünf Jahren alle Probleme der Welt gelöst haben. Wir können die ersten Moleküle rechnen, das ist eine Anwendung. Und wir sehen Grundzustände oder Anregungsenergien von kleinen Molekülen. Das sind Rechenschritte, die hinreichend komplex sind, um Computersysteme herauszufordern. Das wäre vor 50 Jahren noch nicht gegangen.

››Wir haben die erste Halbzeit verloren, aber wir können immer noch das Spiel gewinnen‹‹

Abb.2: Herr Filipp zeigt den Quantencomputer

Gibt es ein globales Technologie-Wettrennen?

Gross: Es gibt einen Wettstreit der Systeme. Doch die meisten universellen Quantencomputer, beispielsweise Bristlecone von Google, der mit 73 Qubits arbeitet, funktionieren bislang nur unter Laborbedingungen. Und 2019 präsentierte IBM den ersten kommerziell nutzbaren Quantencomputer. Europa muss sich jetzt bei der Technologieentwicklung rechtzeitig positionieren und sich entscheiden, ob man mittel- oder langfristig Technologien aus USA oder China beziehen will – oder ob man bei wichtigen Zukunftstechnologien durch den Start eigener Entwicklungsprogramme Souveränität erlangen will.

Sind Sie zuversichtlich, die ganze Wertschöpfungskette in Europa aufzubauen?

Filipp: Ein Ziel von „Quantencomputer made in Germany“ ist der Aufbau von Technologiekompetenz in Europa. Die Expertise ist vorhanden. Wir brauchen jetzt entsprechende Rahmenbedingungen, um Projekte umzusetzen. Da bin ich hoffnungsvoll, dass das funktioniert. Es geht jetzt um Geschwindigkeit und um den richtigen Fokus.

Gross: Wir haben die erste Halbzeit verloren, aber wir können immer noch das Spiel gewinnen. Denn das Spiel wird nicht 2025 zu Ende sein. Unser Exzellenzcluster war bislang sehr Grundlagenforschungs-orientiert. Mit dem „Munich Quantum Valley“ haben wir jetzt allerdings eine neue Initiative gestartet. Mit einer finanziellen Unterstützung von 120 Millionen Euro für die nächsten zwei Jahre soll ein Industrienetzwerk geschaffen werden, das die ganze Supply Chain mit allen Zulieferern beinhaltet und damit weit über den Grundlagenforschungsbereich hinausgeht.

Wie kann man sich Programmierung eines Quantencomputers vorstellen?

Filipp: Es gibt verschiedene Programmierebenen. Auf der untersten Ebene werden die Impulse generiert. Auf der obersten Ebene stehen die entsprechenden Algorithmen – je nach Fragestellung und Abfolge der Operationen. Für die oberste Ebene existieren mittlerweile viele Programmiersprachen. Es eignen sich aber auch klassische Programmierumgebungen, in die dann Quantum Libraries implementiert werden.

Also ein Mapping zwischen einer klassischen Programmiersprache und dem Befehlssatz eines Quantencomputers?

Filipp: Genau. Der Befehl „Faktorisiere Zahl“ oder „Berechne Grundzustand eines Moleküls“ wird heruntergebrochen auf einzelne Mikrowellensignale, wenn zum Beispiel supraleitende Quantenbits adressiert werden sollen. Die verschiedenen Layer dazwischen beinhalten dann auch Informationen darüber, wie dieses Signal generiert wird und wie die Qubits miteinander sprechen. Für effiziente Software ist vor allem die Kenntnis der Hardware nötig, auf der sie laufen soll. Dabei gibt es verschiedene Plattformen: eine aus Atomen oder Ionenfallen oder Systeme mit supraleitenden, künstlich hergestellten Qubits, auf die beispielsweise Google und IBM setzen.


Gross: Bei den maschinennahen Programmiersprachen gibt es große Unterschiede zwischen klassischen und Quantencomputern. Das Design hängt von der verwendeten Plattform ab.

Abb. 3: Herr Gross am Quantencomputer

Was fasziniert Sie am Quantencomputing?

Gross: Wir arbeiten mit supraleitenden Quantenbits, die wir selbst entwerfen, herstellen, charakterisieren und in Gattern miteinander kombinieren. Spannend sind auch Projekte, bei denen wir Quantencomputer miteinander reden lassen. Hier arbeiten wir an einem auf Verschränkung basierendem Quantum LAN. Es laufen Experimente, bei denen Qubits über eine Distanz von 7 bis 8 Metern verschränkt werden. Diese Grundlagenelemente werden in Zukunft für die Vernetzung von Quantenrechnern sehr nützlich sein. Faszinierend ist natürlich auch die Nicht-Lokalität in der Quantenwelt, die Einstein schon zur Verzweiflung brachte: spooky action at a distance. Diese spukhafte Fernwirkung ist heute eine wohlbestätigte Tatsache und technisch umsetzbar. In 50 Jahren wird es vernetzte Quantencomputer geben, die wie die heutigen Supercomputer funktionieren. Als Grundlagenforscher treibt mich natürlich immer die Neugier an, beim Quantencomputing fasziniert mich aber auch, dass hier einer der spannendsten Zukunftsmärkte überhaupt entsteht.

Die Autoren

Prof. Dr. Rudolf Gross forscht auf dem Gebiet der Tieftemperatur-Festkörperphysik. Schwerpunkte bilden neuartige supraleitende und magnetische Materialien und Bauelemente. Sein besonderes Interesse gilt dem Studium von Quantenphänomenen in Festkörpernanostrukturen und deren Anwendung in der Quanteninformations-Technologie. Nach dem Physikstudium promovierte (1987) er an der Universität Tübingen. Internationale Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem nach Tsukuba und ans IBM T.J. Watson Research Center, bevor er an der Universität Tübingen habilitierte (1993). Nach einer Lehrstuhlberufung (Universität zu Köln, 1995) übernahm er im Jahr 2000 die Leitung des Walther-Meißner-Instituts der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW), verbunden mit einem Ruf an die TUM. Er ist seit 2018 Sprecher des Exzellenzclusters Munich Center for Quantum Science and Technology sowie Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Beiräte.

Prof. Dr. Stefan Filipp ist seit Mai 2020 ordentlicher Professor für Physik an der TU München (TUM) und Direktor des Walther-Meißner-Instituts der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Zuvor war er bei IBM Research tätig, wo er seit 2014 am Watson Research Center in New York, USA an supraleitenden Schaltkreisen für das Quantencomputing arbeitet.
Im September 2015 wechselte Filipp zum IBM Research – Zurich Laboratory, wo er dann technischer Leiter des supraleitenden Qubit-Teams wurde, das sich mit der Quanteninformationsverarbeitung mit supraleitenden Schaltungen beschäftigt. Bevor er zu IBM kam, war Filipp von 2008 bis 2014 Mitglied des Quantum Device Lab der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, Schweiz, wo er an hybrider Hohlraum-QED, geometrischen Phasen, Quantenoptik und Quanteninformationsverarbeitung mit supraleitenden Schaltungen arbeitete. Filipp wurde 2006 an der Technischen Universität Wien, Österreich, für seine Dissertation mit dem Titel „New Aspects of the Quantum Geometric Phase“ zum Doktor der technischen Physik (mit Auszeichnung) promoviert. Für seine Dissertation erhielt er den Victor-Hess-Preis der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft.

Das Interview führte Christoph Witte,
E-Mail: cwitte@wittcomm.de, Fotoquellen: BAdW/Kai Neunert

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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum
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Christoph Witte ist Gründer der Wittcomm Agentur für IT, Publishing und Kommunikation. Darüber hinaus ist er Chefredakteur von IT Spektrum sowie BI-Spektrum und wirkt zudem bei dem Magazin JavaSPEKTRUM mit.


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