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Quantenhype: Quantensprung oder Quantenrevolution?

Erfordert der Quantencomputer eine neue Informatik? Neben technologischen Problemen sind auch die theoretischen Grundlagen noch immer die größten Herausforderungen für Quantencomputer.
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Stefan Wess

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  • 28.02.2020
  • Lesezeit: 3 Minuten
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Qubits? Als ich das erste Mal von einem Quantencomputer hörte, war ich verwirrt. Obwohl ich etwas von Quantenphysik verstehe, konnte sich mein Informatiker-Hirn nicht mit meinem Physiker-Hirn verständigen. Meine kognitive Dissonanz wurde erst aufgelöst, als ich während einer Konferenz einen echten Quanten-Experten an der Hotelbar traf. Mit ein paar Bier hat er Physik und Informatik in meinem Kopf wieder zusammengeführt. Die Erkenntnis scheint simpel. Dennoch ist sie für mich die wichtigste Botschaft im allgegenwärtigen Quantenhype: Die klassischen Digitalrechner und Quantencomputer sind „kompatibel“. Ein Von-Neumann-Computer kann einen Quantencomputer simulieren und umgekehrt. Es gelten – noch – die bekannten Gesetze der theoretischen Informatik.

„Mit ein paar Bier hat ein Quanten-Experte Physik und Informatik in meinem Kopf wieder zusammengeführt“

Aber: Für bestimmte Arten von Problemen ist ein Quantenprozessor wesentlich effizienter. Die Beschleunigung (Speedup) gegenüber einem Digitalcomputer ist dann wirklich gewaltig. Dazu gehören Probleme aus der Kryptografie (Shor-Algorithmus), der Suche (Groover-Algorithmus) und verschiedene Optimierungsprobleme. Für einige, wenige Anwendungen ist ein Quantencomputer daher sicher revolutionär. Dies erklärt auch, warum Geheimdienste, die Pharma- und Finanzindustrie sowie Google oder IBM derzeit massiv in die neue Quantentechnologie investieren: Kryptoverfahren werden wertlos, Datensammlungen können schneller durchsucht und Molekülverbindungen besser simuliert werden. Die Anzahl der Probleme, bei denen ein Quantenrechner seinen Vorteil wirklich ausspielen kann, bleibt aber beschränkt. Dies ist kein technologisches, sondern ein grundsätzliches, theoretisches Problem. Es sind derzeit nur eine Handvoll von (Quanten-)Algorithmen bekannt. Auf ein quantenbasiertes „Q-Phone“ sollten Sie daher besser nicht warten.

Die Forschung ist noch lange nicht abgeschlossen. Beispielsweise wird derzeit auch an KI-Algorithmen zur Verbesserung von Machine Learning geforscht. Die Grenzen des theoretisch Möglichen sind aber sehr eng gesteckt. Es ist noch völlig unklar, ob ein Quantencomputer ein NP-vollständiges Problem effizient lösen kann und ob auch hier P z PSPACE gilt. Diese sehr wichtigen Fragen der theoretischen Informatik sind noch immer ungelöst. Solange hier kein wissenschaftlicher Durchbruch gelingt, hat der aktuelle Quantenhype keine wirkliche, theoretische Basis. Trotz Hype, ein Quantencomputer wird unsere klassische IT wahrscheinlich nicht ersetzen. Die digitale Rechnertechnologie wird auch in Zukunft die Grundlage unserer Informationsverarbeitung bilden. Bestimmte Aufgaben werden aber an Quantensysteme „ausgelagert“. Wir alle haben uns inzwischen an Soundchips, Grafikprozessoren, Physik-Engines und KI-Neuroprozessoren gewöhnt. Sie erledigen ausgewählte Aufgaben effizienter und effektiver als ein Universalprozessor. Diese Co-Prozessoren sind aus unseren heutigen Computersystemen nicht mehr wegzudenken. Eine ähnliche Entwicklung als Co-Prozessor wird auch die Quantentechnologie nehmen.

„Eine ähnliche Entwicklung als Co-Prozessor wird auch die Quantentechnologie nehmen“

Solange nicht völlig klar ist, ob die Regeln der theoretischen Informatik auch für Quantenrechner gelten, können sich Church, Turing, Shannon, von Neumann und Chomsky an ihren Arbeiten weiter erfreuen. Wir Informatiker und Informatikerinnen können dann auch in der Quanten-Zukunft auf unsere Theorien aufbauen. Aus dem aktuellen Quantenhype wird am Ende – vielleicht in einem oder zwei Jahrzehnten, wenn die technischen Probleme gelöst sind – ganz sicher ein echter Quantensprung. Aber keine Revolution.

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Stefan Wess

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Dr. Stefan Wess ist geschäftsführender Gesellschafter der Empolis Management GmbH, anerkannter Hightech-Experte und KI-Pionier. Er ist außerdem Mitglied im Aufsichtsrat des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), im Vorstand der Science & Innovation Alliance Kaiserslautern sowie Kurator der Fraunhofer Gesellschaft.

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