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„Veränderungen kann man nicht verordnen“

JavaSPEKTRUM sprach mit Dr. Anke Sax, COO und CTO des international tätigen Investment- und Assetmanagers KGAL, über die Herausforderung einer Digitalisierungsstrategie und darüber, was IT-Leiter und die IT zur Pandemiebekämpfung beitragen können.
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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum

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Anke Sax

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  • 24.09.2021
  • Lesezeit: 11 Minuten
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JavaSPEKTRUM: In Ihren vorangegangenen Engagements arbeiteten Sie als CIO (Chief Information Officer), jetzt bei der KGAL arbeiten Sie als Chief Operating Officer und Chief Technology Officer. Deshalb können Sie uns sicher ganz einfach sagen, was das Einfachste und was das Schwerste ist an der Arbeit einer CIO?

Sax: Das Einfachste, oder das Schönste, ist, dass man ganz vorne beim Change dabei ist, Transformation vorantreibt. Ich habe außerdem in IT-Strategie promoviert, sodass ich mich in diesen Themen zu Hause fühle. Das Schwerste ist, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig Technologie und IT für das Businessmodell eines Finanzinstituts sind. Da ist es manchmal schwierig, die richtige Ebene zu finden, ohne oberlehrerhaft zu wirken, aber eben auch klar zu sagen, was geht und was nicht geht.

Bei wem müssen Sie dieses Verständnis wecken?

Bei den Business-Units und den Fachabteilungen. Die Leute sind ganz anders ausgebildet und haben andere Prioritäten. Da geht es einfach darum, eine gemeinsame Sprache zu sprechen.

Aber Sie sind ja jetzt nicht mehr CIO, sondern CTO und COO. Außerdem sind Sie im Board der KGAL. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?

An der Rolle hat sich eigentlich nichts geändert. Das ist eher eine Bezeichnungsfrage. In unserer Branche ist der CIO schon belegt als Chief Investment Officer. Deshalb nehme ich als CTO die CIO-Rolle wahr, ohne so zu heißen. Die Rolle des COO stellt eine für mich sehr wichtige Erweiterung dar. Als Chief Operating Officer bin ich nicht nur für die technische Umsetzung verantwortlich, sondern auch für die Prozesse.

Eine große Veränderung ist, dass der ITler einen Sitz im Board hat und nicht, wie das häufig der Fall ist, an den Chief Financial Officer berichtet. Ich halte es für sehr wichtig, dass derjenige, der für die Produktion verantwortlich ist – und in einer Bank oder Vermögensverwaltung stellt die IT die Produktion dar – im Board ist. Das ist leider in der Finanzindustrie noch nicht die Regel, müsste sich aber dringend ändern. Wenn der CIO einen Platz im Board hat, muss er sich aber auch als ganz normales Mitglied im C-Level bewegen. Er ist dann kein Umsetzer mehr. Er muss sich selbstverständlich Gedanken machen über die Geschäftsstrategie und daraus abgeleitet über die IT-Strategie.

Fühlt sich das auch so an, wie im obersten Führungskreis angekommen zu sein, oder ist da doch noch die Konnotation drin – okay, Frau Sax macht die Technik?

Bei uns fühlt sich das tatsächlich nach angekommen sein an. Wir leben das auch so.

Sie sind jetzt seit sechs Monaten bei der KGAL. Wo muss sich das Unternehmen in Sachen Digitalisierung besonders anstrengen?

Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich einen großen Unterschied mache zwischen Digitalisierung und digitaler Transformation. Digitalisierung wird oft mit Automatisierung gleichgesetzt. Doch, um ein Unternehmen digital zu transformieren, sind zunächst Standardisierung und Modularisierung notwendig. Deshalb muss auch ein CIO die Businessprozesse verstehen und seinen Businesskollegen deutlich machen, wie sie geschnitten werden können. Gestatten Sie mir eine Metapher: Um das Fließband zu bauen, muss ich verstehen, ob damit Pkw oder Lkw gefertigt werden sollen.

Die KGAL sucht einerseits Assets ab einer Größenordnung von 50 Millionen Euro und andererseits Investoren, die in diese Assets investieren wollen. Das Finden von Assets und Investoren datengetriebener zu gestalten, die Entscheidungen in diesen Bereichen zu digitalisieren, das ist zurzeit unsere Digitalisierungsaufgabe. Das reine Automatisierungsthema, im Sinne von Massengeschäft schneller abzuwickeln, steht nicht in unserem Fokus.

Sie sind verantwortlich für die Digitalisierungsstrategie der KGAL. Wie entwickelt man eine solche Strategie? Wie gehen Sie da vor?

Viele Leute stellen sich das sehr kompliziert vor, ist es aber eigentlich nicht. Es geht darum, die Ziele konkret zu benennen und die Schritte zu entwickeln, um zu diesen Zielen zu gelangen. Eine Internationalisierungsstrategie zum Beispiel darf nicht nur das Ziel stecken „Ich will internationaler werden“, sondern beinhaltet die Länder, die angegangen werden, das Geschäftsvolumen, dass dort erreicht werden soll und auch die Roadmap dahinter, mit der die Ziele erreicht werden sollen. Nicht im Detail, in der Immobilienbranche würde man das wahrscheinlich einen Bebauungsplan nennen. Also man legt fest, wo die Schule steht, die Kirche usw., aber noch nicht die Farbe der Fliesen auf dem Kirchenboden. Für mich besteht deshalb eine Strategie eher aus 50 Seiten und nicht aus 2. Wie kommt man zu so einer Strategie? Indem man mit vielen verschiedenen Leuten auf unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen spricht. Man fragt sie zum Beispiel nach der Kultur des Unternehmens, nach den problematischen Bereichen und natürlich danach, was gut läuft. Wenn Sie mit zehn Leuten gesprochen haben, haben Sie schon ein ganz gutes Gefühl dafür, was bleiben kann, wie es ist und wo Veränderungen notwendig sind. Das schreiben Sie auf und diskutieren das wiederum in mehreren Iterationen. Dabei müssen Sie nicht mit jedem sprechen im Unternehmen, aber mit jeder Rolle.

Nachdem das Ziel steht, beginnen Sie den gleichen Gesprächsund Iterationsprozess mit den notwendigen Umsetzungsschritten. Auf der dann entwickelten Unternehmensstrategie bauen HR-, Risiko- und auch IT-Strategie auf, beziehungsweise werden davon abgeleitet.

Aber die Digitalstrategie, die Sie entwickeln, ist eine Unternehmensstrategie, keine abgeleitete?

Ja. Das kann in einem sehr stark IT getriebenen Unternehmen wie unserem gar nicht anders funktionieren.

Sie sind jetzt sechs Monate im Unternehmen. Wie weit sind Sie?

Wir sind zuversichtlich, dass wir im August, September soweit sind, dass wir die Planungen für das Jahr 2022 auf die neue Strategie ausrichten können. (so gemeint? Ja!) Dann ist die Strategie noch nicht komplett fertig, aber wir können ab Herbst damit arbeiten. Bis sie komplett steht, wird es wahrscheinlich noch bis Jahresende dauern.

Was hilft Ihnen bei der Strategiearbeit am meisten? Gibt es bestimmte Tools, Methoden oder Berater, mit denen Sie besonders gern umgehen?

Ich mache das immer sehr gern mit den Mitarbeitern und ohne Berater. Später, in der Umsetzung greife ich selbstverständlich auf Berater zurück, aber in der Phase, in der es um die Entwicklung einer Zukunft für das Unternehmen geht, helfen mir Berater nicht. Da hätte ich auch zu viel Angst, dass ich die Blaupause vom Nachbarn bekomme (lacht). Für mich ist die Strategieentwicklung schon Teil der Transformation. Der Prozess der Strategieentwicklung entscheidet mit darüber, ob das Unternehmen die gesteckten Ziele auch erreichen kann.

Wenn die Mitarbeitenden wissen, warum bestimmte Entscheidungen getroffen wurden, ist es deutlich einfacher, sie davon zu überzeugen, diese Entscheidungen mitzutragen. Außerdem hilft natürlich, gut zuzuhören und die Fähigkeit, Muster in den vielen verschiedenen Aussagen zu erkennen. Und klar geht das ohne schlaue Mitarbeiter nicht, die reflektieren und ihre Einsichten so erklären können, dass die ganze Company sie versteht. Strategieentwicklung ist wirklich sehr „hands on“. Sie müssen viel reden, noch mehr zuhören und das Gesagte sinnvoll zusammenfassen können.

Immer, wenn Sie nach dem entscheidenden Erfolgsfaktor für Digitalisierung gefragt werden, antworten Sie „Kultur“. Warum ist das so wichtig?

Unternehmenskultur ist die Summe aller Werte und Normen. Bezogen auf die KGAL: Was macht man in der KGAL und was macht man nicht. Wie gehen wir mit den Kunden um, wie mit den Regularien? Die Einstellung „das kriegen wir schon hin“ ist letztlich auch Ausdruck einer bestimmen Kultur. Ein andere, vielleicht eher deutsche Kulturbeschreibung kann sein: „verlässlich“, „ingenieurmäßig“. Kultur ist extrem wichtig, weil sie sich nicht schnell verändern lässt. Deshalb hat Peter Drucker auch den Satz gesagt: „Culture eats strategy for breakfast.“

Ein befreundeter Hirnforscher sagte einmal zu mir: „Kultur sind die Trampelpfade in deinem Hirn. Die kennst du und du fällst immer wieder darauf zurück. Das sind die Muster, nach denen du die Welt einordnest.“ Kultur lässt sich nicht plötzlich verändern. Man muss sie evolutionär weiterentwickeln. Das heißt, jede Strategie muss die vorherrschende Kultur eines Unternehmens berücksichtigen. Eine Strategie, die die Summe aller Werte und Normen eines Unternehmens missachtet, muss scheitern.

Jedem ist klar, dass man Englisch lernen muss. Es reicht nicht zu erklären, dass ab morgen alle Englisch können müssen. So ist es auch mit der Unternehmenskultur. Die kann man nicht verordnen. Das bedeutet auch, dass die Digitalisierungsstrategie die herrschende Kultur berücksichtigen muss. Ich kann einem Unternehmen mit einer ingenieursmäßigen Kultur keine Digitalisierungsstrategie oktroyieren, die sich stark auf die Improvisationsfähigkeit der Mitarbeitenden stützt. Trotzdem wird das sehr oft versucht.

Nach Ihrem letzten Engagement als CIO bei der Deutschen Wertpapier Service Bank haben Sie ein halbjähriges Sabbatical eingelegt. Was haben Sie gemacht?

Das war schon das Zweite. Die erste Pause habe ich 2007 und 2008 gemacht, um meine Doktorarbeit zu schreiben. Ich habe gleich nach dem Abitur angefangen zu arbeiten und mein Studium als duales Studium absolviert. Da ist einfach unheimlich hilfreich, wenn man noch einmal aus dem Alltag herauskommt und so die Welt wieder mit ganz anderen Augen betrachtet. Bei meiner letzten Auszeit hatte ich eigentlich hauptsächlich vor, meinen Akku wieder aufzuladen, aber dann kam Corona und hat schonungslos die riesigen digitalen Lücken aufgezeigt, die in unserem Gesundheitssystem klaffen.

Welche meinen Sie?

Beim 2. Lockdown begann ich mich zu fragen, warum wir auf die Corona-Pandemie mit den gleichen Mitteln reagieren wie bei der Spanischen Grippe. Wir halten Abstand und waschen uns die Hände. Das mit dem Abstand halten erinnert sogar ein bisschen an die Pestbekämpfung im Mittelalter. Digitale Mittel, um Infektionszahlen und Verbreitung schneller zu erkennen und auszuwerten, wurden jedenfalls wenige eingesetzt. Das RKI wurde und wird teilweise immer noch per Fax von den örtlichen Gesundheitsämtern über die aktuellen Neuinfektionen informiert.

Deshalb habe ich in die CIO-Community hineingerufen und gefragt, welche Möglichkeiten die Kolleginnen und Kollegen sehen, diese Situation zu verbessern. Jürgen Renfer, ein Kollege aus der Kommunalen Unfallversicherung, hat sich dann gemeldet und mich mit Informationen zugeschüttet. Wir haben ein Thesenpapier entwickelt und der Politik unsere Hilfe angeboten. Die Computerwoche hat das veröffentlicht und tatsächlich ist dann nicht die Politik, sondern die CIOs aus Bund, Ländern und Gemeinden sind auf uns zugekommen. Sie fanden das vernünftig und haben uns gefragt, was wir denn gemeinsam erreichen können. Und da konnten wir tatsächlich einiges tun.

Dr. Anke Sax

Zwei kurze Beispiele für Initiativen, bei denen Sie helfen konnten?

Was mich Ende letzten Jahres sehr erzürnt hat, war die ständige Aussage: „Wir haben keine Daten“ für die Nachverfolgung des Infekt ionsgeschehens. Wir haben dann herausgefunden, dass der Bund schon seit mehreren Jahren eine Kontaktnachverfolgungssoftware namens SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System) genau für diesen Zweck hat. Sie wurde damals für Länder entwickelt, in denen Ebola grassierte. Dort wird sie auch sehr erfolgreich eingesetzt.

Von den 400 Deutschen Gesundheitsämtern hatten zu dem Zeitpunkt, als wir mit unserer Initiative angefangen haben, erst 40 die Software installiert. Wir haben vielen Gesundheitsämtern dabei geholfen, die Software zu implementieren. Heute haben 90 Prozent der Gesundheitsämter SORMAS implementiert. Dazu haben wir stark beigetragen. Das heißt zwar nicht automatisch, dass sie sie nutzen, aber sie könnten zumindest. Wir haben auch einzelnen Ämtern geholfen, auf die Software zu migrieren. Aktuell verhandeln wir mit mehreren Bundesländern, damit wir den Sommer mit den niedrigeren Infektionszahlen nutzen können, um deutlich mehr Gesundheitsämter zu migrieren.

Das zweite Beispiel ist IRIS, eine Schnittstelle, mit der wir Apps wie Luca, aber eben auch andere Tools aus der Open-Source-Community an SORMAS anbinden können. Nordrhein-Westfalen und Thüringen nutzen zum Beispiel IRIS bereits.

Das Interview führte Christoph Witte, E-Mail: cwitte@wittcomm.de

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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum
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Christoph Witte ist Gründer der Wittcomm Agentur für IT, Publishing und Kommunikation. Darüber hinaus ist er Chefredakteur von IT Spektrum sowie BI-Spektrum und wirkt zudem bei dem Magazin JavaSPEKTRUM mit.

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CIO des Jahres 2019 (Mittelstand), Award der IDG Business Media GmbH, 2017 bis 2019 CIO der Deutschen Wertpapier-Service Bank AG Profil: https://www.xing.com/profile/Anke_Sax/cv Motto: „Sprechenden Menschen kann geholfen werden“ Größter Wunsch: digitale Transformation treiben und dies mit Menschen mit gemeinsamer Vision, Superkraft: aktiv zuhören und herausfinden, wie es den Menschen wirklich geht

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