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Wir setzen ganz bewusst auf die Schnittstellen und die übergreifenden Themen

JavaSPEKTRUM sprach mit Dr. Rainer Seßner, dem Geschäftsführer von Bayern Innovativ, und Dr. Susan Lindner, die das Thema Digitalisierung in der vom Freistaat Bayern vor 25 Jahren gegründeten Innovationsagentur verantwortet. Themen sind der Anspruch der Organisation, die sich auf Innovationen an den Schnittstellen der verschiedenen Branchen konzentriert, und ihre Wirkung vor allem im Bereich Digitalisierung.
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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum


  • 30.07.2021
  • Lesezeit: 10 Minuten
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JavaSPEKTRUM: Bayern Innovativ versteht sich als Wissensmanager, Impulsgeber und Beschleuniger von Innovation. Wie wird dieser Anspruch konkret umgesetzt?

Seßner: Wir haben mit rund 240 Leuten ein sehr starkes Team, das zum einen in vielen verschiedenen Fachbereichen zu Hause ist, sich aber eben auch in der Wirtschaft bestens auskennt. Zum anderen sind wir nicht allein. Wir haben in Bayern starke Partnerorganisationen, wie zum Beispiel die Gesellschaften der Bayerischen Forschungs- und Innovationsagentur oder der Bayerischen Cluster-Offensive, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Auf sie können wir auch zurückgreifen, wenn wir ergänzende Expertise benötigen. Unser Auftrag ist dabei explizit, neue Technologien und Innovationen voranzutreiben. Wir unterstützen Unternehmen dabei, neue Technologien für sich zu nutzen, ihre Innovationen in den Markt zu bringen, und zwar auch durchaus über verschiedene Branchen hinweg. Das Thema Cross-Innovation ist uns dabei ganz besonders wichtig.

Was ist die wichtigste Aufgabe von Bayern Innovativ?

Seßner: Das lässt sich schlecht an einer einzelnen Aufgabe festmachen. Wir bringen einerseits Unternehmen und Hochschulen zusammen, begleiten Unternehmen bei der Ideenfindung und der Geschäftsmodellentwicklung und sind außerdem noch Förderlotse, wenn es darum geht, für bestimmte Projekte öffentliche Fördermittel zu bekommen. Darüber hinaus sind wir selbst Projektträger für viele bayerische Förderprogramme. Wenn Sie so wollen, ist das wichtigste unser branchenübergreifender Ansatz und die Endto-End-Betreuung quasi von der Idee bis zur erfolgreichen Umsetzung.

Inwieweit ist Bayern Innovativ auch eine politische Institution, die Innovationsbeauftragte der Regierung, die das unterstützt, was die bayerische Regierung unterstützen möchte?

Seßner: Wir sind der Innovationsbeauftragte des Freistaates Bayern, aber nicht der bayerischen Landesregierung! Das heißt, wir begleiten Innovationen objektiv, leisten den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Wir treiben nicht Dinge voran, nur weil sie gerade politisch gewollt sind. Deshalb hat man uns vor 25 Jahren auch als GmbH gegründet und nicht als Teil eines Ministeriums aufgesetzt. Aber natürlich befassen wir uns auch mit den Innovationsthemen, die für die Politik wichtig sind. Zum Beispiel erarbeiten wir im Ecosystem die Quantencomputing-Strategie für Bayern.

Noch einmal ganz simpel nachgefragt. Sagt Ihnen Herr Söder, dass Quantencomputing wichtig wird, oder sagen Sie ihm das?

Seßner: In dem Fall haben das beide erkannt (lacht). Aber natürlich kommen von Bayern Innovativ Impulse für Themen, in denen der Freistaat sich engagieren sollte. Es ist unsere Aufgabe, nach neuen Trends und neuen Technologien zu fahnden und diese frühzeitig zu erkennen. Zum Beispiel haben wir das Thema mRNA-Impfstoffe schon vor 15 Jahren aufgegriffen und haben die damaligen Start-ups in diesem Bereich intensiv begleitet.

25 Jahre gibt es die Bayern Innovativ inzwischen. Was waren die größten Erfolge?

Seßner: Wir haben Start-ups und Ausgründungen im Bereich 3D-Druck begleitet, davon ist eines für mehr als eine halbe Milliarde Euro an einen großen Konzern verkauft worden. Es geht uns aber auch sehr stark um die kleineren und mittleren Unternehmen, denen helfen wir, an die Innovationsspitze in ihren jeweiligen Branchen zu kommen oder sich dort zu halten. Schauen Sie auf den Deutschen Zukunftspreis, den der Bundespräsident jedes Jahr verleiht. In den vergangen fünf Jahren waren drei der Preisträger Unternehmen, die Bayern Innovativ begleitet hat.

Das reicht vom Carbon-Beton bis hin zu Firmen, die im Digitalisierungsbereich aktiv sind. Auch in zahlreichen anderen Innovationswettbewerben und Rankings von Wirtschaftspublikationen sind Firmen deutlich überproportional vertreten, die wir begleiten oder begleitet haben. Zu unserem Netzwerk zählen rund 34 000 Firmen, die beraten wir entweder punktuell zum Beispiel bei Förderanträgen oder wir begleiten sie immer wieder in verschiedenen Projekten. Besonders stolz sind wir, wenn wir es schaffen, Firmen über Branchengrenzen hinweg zu helfen. Zum Beispiel wenn wir geholfen haben, einen Hersteller von Isolierpanelen zu einem Logistikunternehmen für gekühlte medizinische Transporte zu entwickeln, die aktuell in der Corona-Pandemie unverzichtbar wurden.

Dieser Cross-over-Ansatz ist ja auch ein wesentliches Element in der Digitalisierung. Welche Aktivitäten entwickelt Bayern Innovativ in diesem Bereich?

Lindner: Wir haben den Bereich im letzten Jahr aufgebaut, vor allem mit der Integration des ZD.B (Zentrum Digitalisierung.Bayern) und der Weiterentwicklung seiner 11 wirtschaftsnahen Themenplattformen. Die reichen von Digitalisierung in der Landwirtschaft über vernetzte Mobilität und Digitalisierung in der Energiewirtschaft oder 6G und Quantentechnologie bis hin zu gesellschaftlichen Themen wie Arbeit 4.0 und Verbraucherschutz in der digitalen Welt.

Wird die Arbeit angesichts der vielen Themenbereiche in der Digitalisierung, aber auch in den anderen Feldern nicht zu oberflächlich? So viel verschiedenes Know-how kann man doch praktisch in einer Organisation nicht vorhalten?

Seßner: Wir setzen ganz bewusst auf die Schnittstellen und die übergreifenden Themen. Innovationen entstehen heute häufig nicht mehr innerhalb eines bestimmten Technologiefeldes oder in einer Branche, sie entstehen sehr oft an den Schnittstellen, in der Kombination verschiedener Bereiche. Deshalb unterhalten wir auch ein sehr großes Partnernetz, sodass dort, wo wir nicht das Tiefenwissen haben, einer unserer Partner weiterhelfen kann.
Lindner: Ein Beispiel dafür, wie wichtig diese Schnittstellen sind, ist der Bereich autonomes Fahren. Hier können in der weniger verkehrsregulierten Landwirtschaft Dinge ausprobiert werden, die auf den digitalen öffentlichen Versuchsstrecken im Automobilbereich nicht erprobt werden dürfen. Digitalisierung in der Landwirtschaft ist übrigens ein sehr spannender Bereich, den noch kaum jemand auf dem Radar hat!

Der von Ihnen gepflegte übergreifende Ansatz ist theoretisch sehr überzeugend, aber praktisch schwer umzusetzen. Gibt es von Ihrer Seite systematische Ansätze, wie man die unterschiedlichen „Gewerke“ schneller zur Zusammenarbeit bringt?

Seßner: Diese Dolmetscher- und Übersetzerfunktion ist ja für unsere Aufgabe zentral, auf geeignete Technologien aus anderen Branchen aufmerksam zu machen und zu helfen, wenn in den verschiedenen Bereichen noch nicht die gleiche Sprache gesprochen wird. Zur Systematik: Es gibt verschiedene Ansätze wie Branchenund Technologienetzwerke, Konferenzen, Workshops oder 1:1 Matching, in denen wir potenzielle Partner zusammenbringen. Außerdem haben wir eine digitale Technologieplattform aufgebaut, die für Technologie- und Trendscouting genutzt wird. Über Trendund Technologieradare können die Unternehmen einen Überblick gewinnen über die Dinge, die sich in ihren Bereichen abspielen. Wir erstellen auch entsprechende Roadmaps über verschiedene Disziplinen hinweg. Auch Foresighting betreiben wir, indem wir Szenarioanalysen machen.

Ist Bayern Innovativ auf Bayern begrenzt?

Seßner: Nein, Innovation macht an den Landesgrenzen nicht halt. Wir sind zum Beispiel bayerischer Partner im Enterprise Network Europe, in dem wir bayerische Firmen mit ihren deutschen und europäischen Pendants und der Wissenschaft vernetzen.

Wie einzigartig in Deutschland ist Bayern Innovativ eigentlich?

Seßner: In der Breite, in dem beschriebenen End-to-End-Ansatz, sind wir tatsächlich einzigartig.

Wie spürbar ist der Beitrag von Bayern Innovativ im Bereich der Digitalisierung? Ist das mehr als das, was im Einzelnen aus den Universitäten und aus der Wirtschaft kommt?

Lindner: Unser Auftrag lautet, Digitalisierung in Bayern zu gestalten. Dabei ist wichtig, dass wir wegkommen von den Buzzwords, die durch die Medien und die Öffentlichkeit geistern. Das geschieht in den verschiedenen Anwendungsbereichen, über die wir bereits gesprochen haben, aber auch über Veranstaltungen oder Ideenworkshops. Aktuell beschäftigt uns das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit besonders stark. Unter anderem geht es um die Vermeidung von Doppelarbeiten. Als Vermittler und Impulsgeber können wir da einen großen Beitrag leisten, indem wir die Spieler zusammenbringen.

Sie haben Ihren Gestaltungswillen betont und den Anspruch, nicht nur den Buzzwords zu folgen. Kann eine Organisation auf Landesebene diesen Anspruch einlösen?

Lindner: Im Prinzip geht es darum, hinter die Buzzwords zu kommen und die Dinge verständlich zu machen. Unsere Veranstaltungen, wie die vor kurzem stattgefundenen Techdays, leisten da einen wertvollen Beitrag.

Gerade der Mittelstand ist durch die Digitalisierung herausgefordert. Es geht natürlich um Verständnis, um das Entwickeln von Geschäftsmodellen, Anpassung oder Kreation neuer Geschäftsprozesse, aber auch um Weiterbildung der Mitarbeitenden oder um Finanzierungsthemen. Wie kann eine Organisation wie Bayern Innovativ da helfen?

Lindner: Zurzeit bieten wir zum Beispiel in unserer Praxis-Werkstatt KMUs an, digitale Kompetenzen gezielt zu entwickeln. Konzipiert wurde die Veranstaltung von unserer Themenplattform Arbeitswelt 4.0. Sie wird sehr gut angenommen. Im Enterprise European Network gibt es außerdem das für KMUs kostenfreie Angebot Digital Assessments, da kann man prüfen, wie weit das eigene Unternehmen schon im Bereich Digitalisierung fortgeschritten ist. Uns ist wichtig, dass wir sowohl hoch aggregierte Angebote machen können, wie die erwähnten Technologie- und Trendradars, als auch praktisches Wissen vermitteln können wie in den Praxis-Werkstätten.
Seßner: Und wenn die Unternehmen ihren „Reifegrad“ festgestellt haben, unterstützen wir sie bei der Vernetzung mit ihren Peers und mit Hochschulen. Wir bringen sie auch in Kontakt mit wirtschaftlichen Unternehmensberatungen, weil klassische Beratung nicht unsere Aufgabe ist.

Digitalisierung ist ein weltweites Spiel, in dem große Wirtschaftsräume versuchen zu punkten. Was kann da eine Länderorganisation wie Bayern Innovativ ausrichten?

Seßner: Wir arbeiten nicht isoliert. Wir sind mit vielen internationalen Partnerorganisationen vernetzt und arbeiten mit denen sehr eng zusammen. So können wir die Impulse aus Bayern durchaus in die Welt tragen und die Impulse aus den anderen Ländern in Bayern vermitteln.

Das Interview führte Christoph Witte, E-Mail: cwitte@wittcomm.de, Fo tos: Bayern Innovativ/I. Wagner

Über:

Dr. Susan Lindner, Leiterin Digitalisierung Bayern Innovativ GmbH, hat ihre berufliche Laufbahn nach dem Abschluss ihres Studiums der Automatisierungs- und Systemtechnik und der anschließenden Promotion an der TU Ilmenau als IT-Consultant gestartet. Sie verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in unterschiedlichen Führungspositionen beim bayerischen Premiumautomobilhersteller BMW. Dabei trug sie internationale Verantwortung in der Business IT und initiierte und begleitete zahlreiche Digitalisierungsprojekte. Seit 2021 bringt Dr. Susan Lindner ihre Erfahrung bei Bayern Innovativ ein. Dr. Lindner leitet das Spezialisierungsfeld Digitalisierung und die dazugehörenden Themenplattformen des ZD.B (Zentrum Digitalisierung. Bayern).

Dr. Rainer Seßner, Geschäftsführer Bayern Innovativ GmbH, ist ein ausgewiesener Innovations-Experte. Bereits während seiner Promotion mit dem Schwerpunkt Optik, Information und Photonik war der Mathematiker und Physiker als Manager bei einem weltweit operierenden Unternehmen tätig und entwickelte auf Basis neuer Technologien innovative Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Auf die Stationen bei Rodenstock, Deutschlands führendem Hersteller für Brillengläser und Brillenfassungen, folgten Führungspositionen beim Optikpionier Carl Zeiss und dem MDAX-Konzern LEONI. Mit seiner Leidenschaft für Technologie, Innovation und Management führt er seit 2016 erfolgreich die Bayern Innovativ GmbH. In den vergangenen vier Jahren baute er die Gesellschaft für Innovation und Wissenstransfer des Freistaats Bayern zu einem ThinkNet für Bayern aus. Heute arbeiten über 200 Mitarbeiter an Standorten in Nürnberg und München eng mit Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie Vertretern der Politik in vielfältigen Kooperationsprojekten zusammen. Vision der Bayern Innovativ GmbH ist ein Bayern, in dem jede tragfähige Idee und Technologie zur Innovation wird.

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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum
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Christoph Witte ist Gründer der Wittcomm Agentur für IT, Publishing und Kommunikation. Darüber hinaus ist er Chefredakteur von IT Spektrum sowie BI-Spektrum und wirkt zudem bei dem Magazin JavaSPEKTRUM mit.


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