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„Wir verfolgen mit unserer Tech-Strategie nicht EIN Ziel, sondern geben Prinzipien vor“

JavaSPEKTRUM sprach mit Dr. Hanna Huber, Group Vice President Technology Strategy & Governance bei der Otto Group, über die Unterschiede zwischen Tech und IT, warum die Otto Group mit ihrer Tech-Strategie auf Handlungsprinzipien setzt, über den differenzierten Umgang mit Standards und was sie gegen Power-Point hat.
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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum

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Hanna Huber

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  • 25.03.2022
  • Lesezeit: 9 Minuten
  • 21 Views

Christoph Witte: Welche Rolle spielt Technologie in der Otto Group?

Huber: Tech ist einer der zentralen Wertschöpfungstreiber. Heute gibt es praktisch kein Geschäftsmodell mehr, das man ausüben oder optimieren kann, ohne die dazugehörigen technischen Prozesse und Features. Das ist nicht mehr zu vergleichen mit traditioneller IT, die einem die Software und Hardware zum günstigsten Preis hinstellt. Es geht darum, Teams zu befähigen, Produkte und Services eigenständig zu entwickeln und zu betreiben, die uns am Markt differenzieren. Deshalb ist das für uns ein sehr wichtiges Feld, auf dem wir uns ständig verbessern müssen.

"Tech beinhaltet eher das Mindset von kreativen Leuten"

Sie bezeichnen Technologie auch als ein Mindset. Was meinen Sie damit?

Das spiegelt sich schon in den beiden Begriffen IT und Tech wider. Unternehmen, die eine IT-Abteilung haben, erwarten meist Hardware und Software sowie Infrastruktur zum günstigsten Preis. Historisch gesehen berichten IT-Abteilungen an den CFO, werden also auch in erster Linie aus Controllersicht gesteuert und sollen jedes Jahr weniger kosten. Tech beinhaltet dagegen eher das Mindset von kreativen Leuten mit viel technologischem Know-how, die darin investieren, immer bessere Produkte für Kunden zu bauen. Natürlich geht es da unter anderem auch um Infrastruktur, aber eben eine, die nicht nur günstig ist, sondern die sehr gut skaliert und hilft, das Produkt am Markt zu differenzieren. Die Wichtigkeit und der Einfluss von Tech-Teams sind heute sehr viel höher. Richtig gute Techies sind echt schwer zu rekrutieren. Die Bedeutung von Tech ist für Unternehmen daher heute elementar und idealerweise direkt in der Geschäftsführung oder dem Vorstand verankert.

Die Otto Group besteht aus vielen verschiedenen Unternehmen mit zum Teil unterschiedlichen Geschäftsmodellen und -strategien. Wie lässt sich für diese unterschiedlichen Zielvorstellungen eine einheitliche Tech-Strategie entwickeln?

Ein einziges Ziel über alle Firmen hinweg kann in einer Firmengruppe natürlich nicht funktionieren. Zur Otto Group gehören sowohl Logistik- als auch Finanzdienstleister und Multichannel-Retailer. Und selbst zwischen unseren reinen E-Commerce-Unternehmen gibt es signifikante Unterschiede. Die Customer Experience muss bei einem Vollversender ganz anders funktionieren als bei einem Spezialhändler. Elektronik, Mode, Möbel oder Spielwaren zu verkaufen, ist nicht das Gleiche. Produktempfehlungen, Einkaufsprozesse, Online-Suche, Marketing – alles muss fein auf die Kundenbedürfnisse abgestimmt sein. Darüber hinaus ist Technologie ein so weites Feld – Infrastruktur, Security, Data Science, Mobile Apps, Payment und so weiter –, da kann es schon rein inhaltlich nicht ein Ziel für alles geben.

Und wie entzieht sich die Otto Group diesem Dilemma?

Wir verfolgen mit unserer Tech-Strategie nicht ein einziges Ziel für alle, sondern geben Prinzipien vor. Zum Beispiel „Reusability”. Wir fordern diejenigen unserer Firmen, die eine neue Lösung einführen wollen, auf, zunächst zu schauen, ob ein anderes Unternehmen der Gruppe das Problem bereits gelöst hat und ob sie nicht die gleiche Lösung nutzen können wie die Kolleginnen und Kollegen. Ein anderes Prinzip ist bedingte Standardisierung nach Firmen-Portfolios. Nur für Firmen, auf die bestimmte gemeinsame Bedingungen zutreffen, etablieren wir Standards, und andere können dann frei wählen. Und wir arbeiten nach Life-Cycles. Das bedeutet, dass nur dann auf Standards migriert wird, wenn die betroffene Lösung ohnehin ausgetauscht werden muss. Wir wollen da standardisieren, wo wir signifikante Synergien heben können, aber es gibt auch keinen Freifahrtschein, alles allein zu tun.

Wie stellen Sie sicher, dass die Gemeinsamkeiten entdeckt werden und danach gehandelt wird?

Wir definieren zum Beispiel Sub-Strategien für thematische Teilbereiche – wie zum Beispiel Fulfillment & Logistik – und etablieren dann dafür ein eigenes „Tech Board” als Gremium. Beispielsweise haben wir für unsere Fulfillment-Tech-Landschaft bestimmte Softwarestandards und einen einheitlichen Architektur-Schnitt definiert. Es gibt grobe Leitlinien und Zielbilder, aber nicht für jedes Detail und nicht für alle gleich. Damit bleiben den Unternehmen die nötigen Freiheitsgrade.

Worum kümmert sich Ihre Strategiegruppe – um die Tech-Themen jedes einzelnen Unternehmens in der Otto Group?

Auf keinen Fall, das würde gar nicht funktionieren. Wir werden nur bei Themen aktiv, die auf mehrere Firmen zutreffen. Zum Beispiel gibt es gerade grundlegende Änderungen bei den Third-Party-Cookies – siehe Googles Privacy Sandbox. Das betrifft mehrere unserer Gruppenfirmen, weshalb wir auch gemeinsam an Lösungen arbeiten. Security ist ein weiteres Thema, das alle betrifft. Da sind Standards wichtig, auf die sich alle einigen. Das sind zum Beispiel Felder, in denen mein Team tätig wird. Aber es wäre grundfalsch, wenn wir in die Strategieentwicklung jeder einzelnen Firma eingreifen würden.

Machen Sie den Firmen Angebote, die sie ablehnen können, oder gibt es auch „must do's“?

Das ist eine Mischung aus Locken, Ziehen und Schubsen. Wenn sich Firmen zum Beispiel neu aufstellen oder Technologien einführen möchten, bieten wir Beratung an. Grundsätzlich haben wir mit dem „Tech Board“ aber ein gruppenweites Gremium, in dem die Geschäftsführer*innen und CIOs sitzen. Dort besprechen wir übergreifende Tech-Themen und haben auch das Mandat, für die ganze Gruppe zu entscheiden. Wenn das Tech Board beispielsweise über gewisse Security-Standards oder eine Standardsoftware für bestimmte Bereiche entschieden hat, dann kann es ihre Einführung auch durchsetzen, weil diese Beschlüsse für die gesamte Gruppe bindend sind.

Was macht Otto bei der Tech-Strategie anders als andere Unternehmen?

Ich weiß natürlich nicht, wie das genau in anderen Unternehmen läuft. Aber in Gesprächen zum Beispiel auf Konferenzen ist mir aufgefallen, dass viele Unternehmen dazu tendieren, alles zentralisieren zu wollen – also eine sehr umfassende Standardisierung von Software und Prozessen verfolgen. Und Zentralisierung kann ja tatsächlich in vielen Fällen sehr effizient sein. Gute Beispiele sind interne IT-Themen, die Commodities sind, beispielsweise solche, die Unternehmen nicht wirklich am Markt differenzieren – wie Buchhaltungssoftware. Oder beispielsweise Hosting, wo man durch Zentralisierung bessere Skaleneffekte und Konditionen herausholen kann. Aber bei einer Recommendation-Engine oder Pricing-Algorithmen, um mal zwei Beispiele zu nennen, wird es schwieriger. Da macht es einen großen Unterschied, ob ich „Home & Living” oder Mode verkaufe. Also je näher der Service am Endkunden ist, desto vorsichtiger muss man bei Standardisierung sein. Es geht darum, genau hinzuschauen, wo Standards Sinn ergeben und wo man eher auf dezentralisierte maßgeschneiderte Lösungen setzen sollte.

Kann man sagen, dass Sie auch Vorgehensweisen infrage stellen, die zum Teil schon lange gelten?

Es gibt ja etliche offizielle IT-Prozess-Frameworks, von denen ich aber kein großer Fan bin. Ich mache einfach das, was ich gut kann und was funktioniert. Wir probieren viel aus und verwerfen Dinge auch wieder. Tech-Strategie- und Governance-Themen und die Frage, wie Unternehmen Tech skalieren und professionalisieren, beschäftigen mich seit vielen Jahren. Es funktioniert in meiner Erfahrung am besten in Firmen, die mit anderen Ansätzen schon mal schlechte Erfahrung gemacht haben – die also zu viel oder zu wenig Struktur hatten und wo die Einsicht da ist, dass es ohne vernünftige Balance nicht geht. Dann kann ich da erfolgreich aktiv werden. Bei der Otto Group fahren wir einen sehr pragmatischen Ansatz. Aber man muss wissen, dass das eben auch anstrengend ist, weil wir immer wieder Dinge aushandeln müssen. Man braucht auf jeden Fall Ausdauer.

Apropos Verhandeln. Wie ist die Akzeptanz innerhalb der Otto Group? Haben die großen Firmen in der Gruppe nicht den Ehrgeiz, ihre eigene Tech-Strategie zu fahren?

Die großen Einheiten unterhalten ihre eigenen Tech-Teams und haben eigene Strategien. Darüber gibt es gar keinen Dissens. Wir werden nur da aktiv, wo es mehrere Firmen innerhalb der Gruppe betrifft. Dabei haben die größeren Organisationen mit eigenen großen Tech-Teams auch mehr Entscheidungsraum als kleinere Firmen, die vielleicht gar nicht so viel selbst bauen können und viel outsourcen müssen. Für die bieten wir dann eher Standards an.

Sie achten sehr stark auf die Abhängigkeiten der Projekte untereinander. Wieso legen Sie so viel Wert darauf?

Besonders Transformations- und große Umsetzungsprojekte haben häufig Abhängigkeiten untereinander, sei es, weil sie prozessseitig ineinandergreifen oder weil sie einfach um Ressourcen konkurrieren. Wenn wir diese Interdependenzen nicht berücksichtigen, kann es an den Schnittmengen zu Störungen kommen. Deshalb haben wir ein eigenes Team, das auf solche Abhängigkeiten zwischen großen Tech-Projekten achtet. Wir fahren aber keinen Ris ikomanagement-Ansat z. Stattdessen analysieren wir die Abhängigkeiten inhaltlich sehr sauber, machen sie für alle transparent und entwickeln dann gemeinsam mit den Teams Lösungsoptionen, wie wir gegenseitige Abhängigkeiten auflösen oder die Meilensteine aufeinander abstimmen können.

"Ich finde nicht gut, wenn Leute PowerPoint als "Allzweckwaffe" betrachten"

Letzte Frage und ganz anderes Thema: Sie haben etwas gegen PowerPoint. Wieso eigentlich?

Ich habe nicht an sich etwas gegen PowerPoint. Ich finde es nur nicht gut, wenn Leute das als „Allzweckwaffe“ betrachten. Für Reden und Vorträge vor großen Gruppen ist das sicher oft hilfreich, aber man sollte damit nicht alle Situationen „erschlagen“ wollen. Wann immer etwas zu besprechen ist, werden einem zuerst PowerPoint-Charts geschickt. Dagegen habe ich tatsächlich etwas, weil jedes Medium seine Berechtigung hat. Um zum Beispiel eine Architektur oder eine Projekt-Roadmap zu erklären, hilft eine gute Infografik. Und bei komplexen Sachverhalten und zu treffenden Entscheidungen ist es besser, einen klaren, kurzen Text zu schreiben. Der ist, gerade wenn nicht dazu gesprochen wird, verständlicher und hat den Nebeneffekt, dass man beim Lesen sehr schnell erkennt, ob der Verfasser das Thema wirklich verstanden und auf den Punkt gebracht hat.

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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum
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Christoph Witte ist Gründer der Wittcomm Agentur für IT, Publishing und Kommunikation. Darüber hinaus ist er Chefredakteur von IT Spektrum sowie BI-Spektrum und wirkt zudem bei dem Magazin JavaSPEKTRUM mit.

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Hanna Huber

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Dr. Hanna Huber arbeitet seit Ende 2019 in ihrer jetzigen Position bei der Otto Group. Nach ihrem Studium in Electronic Business an der Universität der Künste Berlin startete Hanna Huber 2007 bei einer Berliner Social-Media-Unternehmensberatung, wo sie zunächst als Analystin und später als COO agierte. Parallel promovierte sie 2011 an der Freien Universität Berlin zum Thema Innovationsverbreitung.

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